Menschen haben immer schon mit Tieren zusammengelebt und sie für ihre Zwecke genutzt. Aber zunehmend wird das Recht des Menschen auf Ausbeutung der Tiere in Frage gestellt. Der Schweizer Philosophieprofessor Jean-Claude Wolf konstatierte bei einer Tagung für Tierärzte und Tierschützer in der Evangelischen Akademie Bad Boll eine neue Mitleidskultur. Paradoxerweise sei die Tierliebe aber ausgerechnet in jenen Gesellschaften mit hohem Fleischkonsum besonders groß. Die Produktion von Fleisch und Tierprodukten sei aber nicht zufällig mit Tierleid verbunden, sondern sei vorsätzliche und unvermeidliche organisierte Billighaltung und Massentötung unter dem Schutzmantel der Legalität. Wolf erklärte dieses moralische Versagen damit, dass Lust und Gesundheit bei der Ernährung im Vordergrund stünden, negative Gefühle wie Schuld, Mitleid und Ekel würden vermieden. Tierethik und ökologische Ethik scheinen Wolf zufolge an den Barrieren einer hedonistischen und liberalen Kultur zu scheitern.
Tierethiker suchen eine Antwort auf die Frage, inwieweit die Interessen der Tiere moralisch berücksichtigt werden müssen. „Die Grundfrage der Tierethik: Kann ein Lebewesen leiden? zieht die moralische Antwort nach sich: Dann verdient es eine direkte moralische Beachtung“, sagte Wolf. Mit der Anerkennung der Empfindungsfähigkeit als Kriterium moralischer Berücksichtigung ist aber noch nicht klar, wie diese aussehen muss. Der Tierethiker Peter Kunzmann sprach sich für mehr Tierwohl durch bessere Haltungsbedingungen aus. Es sei schon viel erreicht, wenn die Eigenarten und Bedürfnisse der verschiedenen Tierarten respektiert würden. Er kritisierte, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Tierproduktion dem Tierschutz enge Grenzen setzten. Nach Ansicht der Philosophin Friederike Schmitz haben Menschen moralisch kein Recht, Tiere zu nutzen. Unter den gegebenen Bedingungen sei eine Nutzung von Tieren ohne Tierleid nicht möglich. Natürlich sei eine Fläche von 1,2 m² für ein Schwein besser als 0,8 m², aber solange Tiere Waren sind, so Schmitz, gebe es keinen echten Tierschutz. Der Staat unterstütze die systematische Ausbeu-tung und das Elend der Tiere.
Neben ethischen Grundsatzfragen wurden aber auch praktische Probleme des Tierschutzes diskutiert; „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“, heißt es im Tierschutzgesetz. Aber was ist ein „vernünftiger Grund“? Ist es ein vernünftiger Grund, Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren, weil eine Betäubung dem Schweinemäster zusätzliche Kosten verursachen? Ist unser ästhetisches Empfinden ein ausreichend vernünftiger Grund für so genannte Qualzuchten, die den Tieren Schmerzen bereiten? Dürfen gesunde Tiere im Zoo getötet werden, nur weil für sie kein Platz da ist oder sie nicht in das Zuchtmanagement des Zoos passen? Ist es vernünftig, überzählige Mäuse aus der Versuchstierzucht zu töten, weil sie „auf Vorrat“ produziert werden? Geschätzte 10 % der Rinder, die geschlachtet werden, sind trächtig. Wenn sie ausbluten, erstickt das Kälbchen qualvoll. Ist das moralisch in Ordnung?
Warum „unbestimmte Rechtsbegriffe“ wie der „vernünftige Grund“ nicht nur schlecht sind, erläuterte die Juristin Dr. Talke Ovie von der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht e. V. Sie erfordern eine Wertung, die unterschiedliche Gesichtspunkte berücksichtigt, und öffnen das Recht auf diese Weise auch für moralische Erwägungen. Die öffentliche Meinung zu ethischen Fragen ändere sich von Zeit zu Zeit, dem wurde mit den unbestimmten Begriffen im Tierschutzrecht Rechnung getragen.
Auch Tiere im sozialen Umfeld des Menschen leiden oft unter schlechten Haltungsbedingungen und Überforderung der Tierhalter. Hinter 90 % der Probleme, mit denen Amtstierärzte konfrontiert sind, stecken psychische Probleme der Tierhalter. Man müsse das Verantwortungsbewusstsein der Tierhalter stärken und mehr Tierschutzunterricht anbieten, war eine Forderung der Teilnehmer. Oft sei derjenige der größere Tierfreund, der kein eigenes Tier besitzen will. Aber auch eine defizitäre Überwachung und zögerliches Handeln der Amtstierärzte wurde bemängelt. Auch in der eigenen Verwaltung der Veterinärämter brauche der Tierschutz mehr Anerkennung.
Nicht nur Fachleute, Tierhalter und die Politik stehen in der Verantwortung für mehr Tierschutz. Der Wunsch der Verbraucher nach billigem Fleisch mache wirksamen Tierschutz in der Nutztierhaltung unmöglich. Deshalb forderte eine Teilnehmerin: „Der Verbraucher muss Tierleid wahrnehmen. Auf der Salami sollte stehen „aus einer trächtigen Kuh hergestellt“.
Der Zusammenhang zwischen Tierleid und Fleischkonsum ist auch ein Thema in den Tierschutzprojekten für Kinder und Jugendliche, die die Tierärztin und Tierschutzlehrerin Astrid Reinke mit ihrem Verein Achtung für Tiere e. V. in Gütersloh organisiert. Sie kritisierte die Tierschutzpädagogik in Schulen, Kindertagesstätten und von Verbänden scharf. In den Lehrbüchern des Biologieunterrichts sei von empfindungsfähigen Tieren die Rede wie von einer gefühllosen Sache. In den Tierschutzprojekten von Astrid Reinke lernen Kinder, wie man mit Tieren umgeht, sie lernen Mitgefühl und lernen pflanzliches Essen kennen. Wer mag, kann sich in den Kursen von Astrid Reinke in einen Käfig setzen und so am eigenen Leib erfahren, wie sich die Tiere fühlen.