Wir nehmen das Handelsabkommen EU-Mercosur unter die Lupe

Pro und Contra für das Freihandelsabkommen

Zwanzig Jahre lang haben die Europäische Union und der Mercosur (der gemeinsame Markt bestehend aus Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay) ein Freihandelsabkommen verhandelt. Ende 2019 wurde angekündigt, der Vertrag stehe und der Ratifizierungsprozess solle beginnen. Das Abkommen hat als explizites Ziel, den biregionalen Handel zu stärken und die europäischen Konzerne in der Konkurrenz zur USA und China besser zu positionieren.

Das Ergebnis ist aber sehr umstritten. Der damalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker begrüßte die Einigung sofort: „Ich habe meine Worte wohl abgewägt, wenn ich sage, dass dies ein historischer Augenblick ist. In einer Zeit internationaler Handelsspannungen tun wir heute mit unseren Partnern aus dem Mercosur deutlich kund, dass wir für einen auf Regeln beruhenden Handel stehen“. Auch ein Teil der Wirtschaft zeigte sich zufrieden. So lobte die deutsche Industrie und Handelskammer, den Vertrag, weil ein für beide Seiten ausgewogenes Abkommen die richtigen Akzente setze und für eine bessere Positionierung deutscher Investitionen sorge. Allgemein sind europäische Industriekonzerne damit deutlich begünstigt.

Doch der Vertrag rief auch kritische Meinungen hervor. Viele Umweltorganisationen hinterfragen seine Auswirkungen auf die Natur. Die Austauschintensivierung könnte die schon kritische Waldrodung in Südamerika noch steigern. Die Sojaproduktion für Exporte benötigt ständig eine Erweiterung der Anbaufläche. Nicht nur die NGOs sind dieser Meinung. Auch die deutsche Bundesumweltministerin Svenja Schulze sieht Verbesserungsbedarf: „So wie das Abkommen derzeit vorliegt, kann ich eine Ratifizierung nicht unterstützen“, sagte sie und betonte: „Eine Schwachstelle des Abkommens ist, dass Verstöße gegen die Umweltregeln nicht so streng sanktioniert werden wie Verstöße gegen die Handelsregeln.“ Der französische Präsident Macron kündigte wiederholt an, er werde den Vertrag ablehnen, solange sich die Regierung Brasiliens nicht an Umweltregeln hält und weiterhin Waldbrände unterstützt. Auch in Argentinien sind aktuell die Waldbrände dramatisch, und Agrar- und Immobilienkonzerne agieren gegen den im Parlament vorgelegten Gesetzentwurf, der die Nutzung verbrannter Flächen für 60 Jahre verbieten soll.

Auch die europäische Landwirtschaft fühlt sich angegriffen, weil Einfuhren aus der südamerikanischen Region europäische Kleinbauern aus dem Markt verdrängen könnten. Doch im Mercosur wird oft behauptet, die zollfreien Kontingente seien zu gering, um eine echte Herausforderung darzustellen. Daher ist es nicht eindeutig, dass das Abkommen so ausgewogen ist, wie oft dargestellt wird. Ein gewisses Gefühl der Unausgewogenheit entsteht auch dadurch, dass sich hinter den Normen, die angeblich für alle gleich sind, eine ungleiche Verteilung der Vor- und Nachteile versteckt. Ein Beispiel ist die Abschaffung der Zölle für Industriegüter. Diese gilt zwar für beide Seiten, doch ist die Konkurrenzfähigkeit beider Industriekomplexe sehr unterschiedlich. Dadurch unterscheiden sich auch die Folgen.  

Weniger kontrovers wird die Frage des Demokratiemangels gesehen. Der Vertrag wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt, ohne Partizipation der Zivilgesellschaft. Der Text wurde noch nicht vollständig veröffentlicht. Eines der Probleme ist, dass er nicht nur die Zolltarife regelt, sondern auch Bereiche wie Kapitalschutz, Staatskäufe, geistiges Eigentum und Patente, Liberalisierung der Dienstleistungen und Finanzmärkte, E-Commerce oder Umweltfragen. Dies impliziert zum Teil die Annahme internationaler Verträge, die bestimmte Länder bisher nicht unterschreiben wollten. Es handelt sich hier also um eine Art „Aquis Communautaire“, den man in einen Handelsvertrag schmuggelt.

Für die Mercosurländer bleibt auch die Entwicklungsfrage offen. Das Abkommen basiert auf einer traditionellen Arbeitsteilung, in der eine Seite die Industriegüter und einen Teil der Dienstleistungen übernimmt, während die andere Seite Primargüter im Austausch gibt. Im Klartext: Europa stellt die Autos her (für den Mercosur, aber hauptsächlich für sich) und sichert sich durch den Vertrag die Lieferung des Lithiums für die Batterien. Damit setzt man aber weder einen wahren Entwicklungsprozess in Bewegung, noch schafft man eine Grundlage, die Arbeit und Lebensqualität für alle ermöglicht. Dabei verhindert der Vertrag, dass die Mercosurländer aktive Industriepolitik machen und limitiert grundsätzlich die Instrumente für reguläre Wirtschaftspolitik, schließt also alle weiteren Türen. So können die Beteiligten zum Beispiel, Finanzkapitalflucht nur dann einschränken, wenn sie einen Krisenzustand nachweisen können. Letzteres gilt übrigens auch für europäische Länder, die von dadurch benachteiligten Konzernen angeklagt werden können.

Ob die Vorteile reichen, um die Nachteile auszugleichen, ist also noch strittig. An dieser Diskussion sollten aber alle Betroffenen (offensichtlich mehr als nur die Export-Importunternehmen) teilnehmen. Es handelt sich um eine Schlüsselfrage des demokratischen Entscheidungsprozesses. Die Akademie versucht, mit der Tagung „Internationale Wirtschaftsbeziehungen gerechter gestalten“ zu diesem Prozess beizutragen.


Prof. Dr. Andrés Musacchio ist Studienleiter für den Themenbereich „Wirtschaft, Globalisierung, Nachhaltigkeit“. Seine Arbeitsschwerpunkt sind Ökonomie und Sozialpolitik.

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