Seit dem Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine ringen wir miteinander. Die Frage, ob und wenn ja, welche Waffen Deutschland an die Ukraine liefern soll, treibt einen Keil in die deutsche Gesellschaft.
Die bereits zuvor existierenden Forderungen nach einer Überarbeitung der friedensethischen Denkschrift „Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“, die der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) 2007 veröffentlicht hat, haben seitdem zugenommen. Sie setzte stark auf eine internationale Ordnung, die mittels des Völkerrechts durchgesetzt wird. Diese Hoffnung hat sich im Fall des Angriffskrieges auf die Ukraine, aber auch in anderen Krisenfällen nicht bewährt. Die geopolitischen Grenzen verschieben sich und der regelbasierte internationale Zusammenhalt ist vielfach in Frage gestellt.
Zu Beginn des Krieges gingen auch Vertreter*innen der evangelischen Kirche mit ihren konträren Ansichten in die Öffentlichkeit. Die Debatte polarisierte. Sie tut dies bis heute. Spätestens seit Verteidigungsminister Pistorius davon spricht, wir müssten „kriegstüchtig“ werden, fragen wir uns, warum der Begriff der Verteidigungsfähigkeit nicht mehr ausreichen soll. Wir wollen keinen Krieg, und damit auch nicht kriegstüchtig werden. Und doch ist allen, die sich mit Sicherheitspolitik beschäftigen klar, dass die Lage ernst ist, und der Krieg in der Ukraine auch uns betrifft. Was macht diese Kriegsrhetorik mit uns, und wie wirkt sie in die Realität hinein? Wenn Rolf Mützenich vom „Einfrieren des Krieges“ spricht, erlebt er dafür einen Shitstorm. Das urdemokratische Recht, in politischen Auseinandersetzungen und wichtigen verteidigungspolitischen Fragen, Optionen wie Verhandlungslösungen zu diskutieren, muss erlaubt sein. Nicht in dem Sinne, dass es anderen etwas vorschreiben will, sondern im Sinne des Nachdenkens darüber, wie man zu Frieden kommt.
Die Evangelische Kirche hat einen innerkirchlichen Weg gefunden, ihre friedensethischen Positionen zu überarbeiten. Im Jahr 2023 nahm die Friedenswerkstatt unter Leitung des Friedensbeauftragten des Rats der EKD, Landesbischof Friedrich Kramer, ihre Arbeit auf: Neue Friedensethik der evangelischen Kirchen: Kommt das Ende des „Atom-Pazifismus“? – Evangelische Akademie Loccum.
Ein Redaktionsteam soll in Abstimmung mit der Expert*innenrunde der Friedenswerkstatt den Entwurf eines Grundlagenpapiers zur Friedensethik formulieren.
Friedensbeauftragte der Landeskirchen sprechen im Erarbeitungsprozess mit Vertreter*innen der Militärseelsorge, Wissenschaftler*innen mit Praktiker*innen und sie tun dies in einem konstruktiven Miteinander. Die EKD hat sich während des Prozesses entschieden, im Rahmen von vier thematischen Konsultationen nicht nur Fachleute zu hören, sondern den Diskursraum innerkirchlich zu öffnen. Das war eine gute Entscheidung. Protestant*innen wollen ihre Meinung äußern können, sie wollen an der Debatte beteiligt werden, und sie wollen vor allem Orientierung.
Die evangelischen Akademien in Bad Boll, Berlin, Loccum und Villigst haben den Raum für die vier Konsultationen geboten. Hier wurden Fachleute zu Themen wie der Bedeutung des Klimawandels für Sicherheitsfragen und dem Begriff der Gerechtigkeit gehört. Sie stellten Fragen, wie Frieden in der globalen Weltgemeinschaft angesichts multipler Ordnungsvorstellungen gelingen kann und wie sich die christliche Idee des einen Evangeliums dazu verhält. Auch der postkoloniale Diskurs wurde integriert und die Kritik der Staaten des Globalen Südens erörtert. Angesichts der verabschiedeten Sicherheitsstrategie wurde über schützenswerte Güter und darüber diskutiert, welche Bedeutung das internationale Recht für die Friedensethik hat.
Der Prozess ist nun an dem Punkt, dass eine Redaktionsgruppe einen ersten Text verfasst, wie die Überarbeitung der Denkschrift aus 2007 aussehen könnte. Die Autor*innen stehen dabei vor der großen Herausforderung, scheinbar unüberwindbare Gegensätze zusammenzubringen und sich auf die theologischen Wurzeln zu konzentrieren. Der Text wird dem Rat der EKD zu einer ersten Beratung vorgelegt und soll anschließend in einem partizipativen Format mit evangelischen Menschen aus verschiedenen Landeskirchen und mit unterschiedlichen Hintergründen diskutiert und 2025 verabschiedet werden. Auf die Ergebnisse der ersten Überlegungen dürfen wir gespannt sein. Informationen darüber werden Sie auch bei uns finden, da die Evangelischen Akademien in den weiteren Prozess eingebunden sein werden.
Über den herausfordernden Prozess der Überarbeitung der friedensethischen Denkschrift von 2007 „Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ haben wir mit dem Münchner Theologen Prof. Dr. Reiner Anselm ein ausführliches Gespräch geführt, welches sie als Episode unseres Podcasts „Glaube.Liebe.Hoffnung.“ nachhören können. Anselm ist einer der drei Vorsitzenden der Friedens-werkstatt der EKD, die mit der Überarbeitung beauftragt ist.
Des Weiteren erhalten Sie hier einen Überblick über all unsere bisherigen Veranstaltungen und Beiträge zum Thema „Angriff auf die Ukraine“.
Verantwortliche Studienleiterin ist Carola Hausotter. Sie ist für die Themenbereiche „Friedensethik und Transkulturalität“ zuständig. Einer ihrer Arbeitsschwerpunkte ist neben der staatlichen Entwicklungspolitik die Rolle von Zivilgesellschaft im globalen Kontext.