„Das Beste aus zwei Welten“ liest und hört man oft als Definition eines integrativen Ansatzes in Medizin und Pflege. Konservative Ansätze („Schulmedizin“) und komplementäre Ansätze (z.B. Naturheilverfahren) sollen bei der Behandlung und Versorgung von Patient*innen zusammenwirken. Längst wissen wir aus Reha, Psychosomatik und Palliativ Care, auf was es in der Versorgung und Begleitung von Menschen in Krankheitssituationen ankommt. Neben der medizinisch-pflegerischen Therapie werden psychosoziale und kulturell-spirituelle Aspekte und Handlungsansätze gleichermaßen berücksichtigt und einbezogen. Nicht zuletzt spielt die Konstitution der Betroffenen eine entscheidende Rolle: die/der Patient*in selbst mit ihrem/seinem Lebensgefühl, ihrer/seiner Leiberfahrung, ihren/seinen Ressourcen und Möglichkeiten, sich der besonderen Situation einer Erkrankung zu stellen. Integrative Ansätze verbinden all diese Elemente entsprechend dem Bedarf der/des Patienten*in sinnvoll zu einem Ganzen.
75% aller Patient*innen wünschen sich, laut einer repräsentativen Umfrage, in dieser Weise gesehen und behandelt zu werden. Das hat auch die baden-württembergische Landesregierung erkannt und formuliert im aktuellen Koalitionsvertrag: „Wir setzen uns für den barrierefreien Zugang zu einer qualitätsgesicherten integrativen Medizin für alle ein“. Unter der Schirmherrschaft des Ministers für Gesundheit, Soziales und Integration Manne Lucha arbeitet das „Kompetenznetz Integrative Medizin“ (KIM) an der Entwicklung, Implikation und wissenschaftlichen Evaluation integrativer Behandlungskonzepte.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen in Baden-Württemberg haben sich die Alb Fils Kliniken mit anderen Akteuren des Gesundheitswesens in der Region auf den Weg gemacht, im Stauferland eine integrative Versorgung aufzubauen. Bei einem Regionalkongress am 28. Oktober 2022 in der Evangelischen Akademie Bad Boll wurde das neu gegründete Institut für Integrative Medizin der Alb Fils Kliniken vorgestellt und über das Projekt „Integrative Versorgung im Stauferland“ informiert. Bewegende Krankengeschichten betroffener Patientient*innen warfen ein Licht auf Erfahrungen und Bedarfe. Professor Klaus Kramer vom Universitätsklinikum Ulm zeigte auf, wie der neue Zweig Integrativer Medizin wissenschaftlich begleitet und beforscht wird. Einen weitenden Blick über die Grenze gab Machtheld Huber, die in den Niederlanden das auf Selbstmanagement und Kooperation basierende Konzept der Positive Health entwickelt und implementiert hat. Die Tagung stand unter der Schirmherrschaft von Landrat Edgar Wolff. Die anwesenden Ärzt*innen, Therapeut*innen, Gesundheitsexpert*innen und Bürger*innen beteiligten sich rege an den Diskussionen, begegneten einander trotz unterschiedlicher Zugänge und Professionen wertschätzend und wurden inspiriert, die eigenen Tätigkeit neu zu bedenken und sich zum Wohl von Patient*innen besser zu vernetzen.
Der Theologe Dr. Dietmar Merz ist seit 2014 Studienleiter für den Themenbereich „Kultur, Bildung, Religion“ an der Evangelischen Akademie Bad Boll. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Medizinethik und Gesundheitspolitik.