Mein geschätzter Stuttgarter Kollege Romeo Edel beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt hat mir zu meinem Geburtstag kürzlich einen Satz geschrieben, der mich nachdenklich gemacht hat.
„Aber wir würden uns ja wünschen, dass wir diese Transformation positiv gestalten, durch Design und nicht Desaster“.
Wir sind uns einig, dass die notwendige Transformation der Industriegesellschaft nötig ist und gelingt und nicht desaströs endet, damit die Pariser Klimaziele erreicht werden und das soziale und demokratische Gefüge unserer Gesellschaft stabil bleibt. Es gibt aber nicht wenige Menschen, die sehr skeptisch sind. Viele meinen, dass es zu einem Desaster und einer zunehmenden Entwertung von Natur, Geld, Arbeit, Sorge, Nahrung, Energie und Leben komme.
Als scharfe Analytikerin in der Debatte um die Chancen einer gelingenden Transformation hat die Erlanger Soziologin Sabine Pfeiffer in diesem Frühjahr einen kritischen Debattenbeitrag geliefert.
Sie erörtert und verbindet in ihrem neuen Buch „Digitalisierung als Distributivkraft. Über das Neue am digitalen Kapitalismus“ eine soziologische Perspektive der digitalen Technikentwicklung mit der ökonomischen Logik in der Tradition des Marxismus.
In neun Kapiteln entfaltet sie ihre Idee und ich frage mich beim Lesen, inwiefern die kapitalistische Ökonomie reformierbar sein kann? Mein Wunsch wäre die Reformierbarkeit in Richtung einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Ich verbinde selbst Hoffnungen mit einer Rot-Gelb-Grünen Reform der politischen Agenda. Doch Sabine Pfeiffers soziologische Analyse nährt meine Hoffnungen auf einen Wandel durch Design eher nicht.
Sie bleibt skeptisch in der Frage der Reformierbarkeit der kapitalistischen Ökonomie. Die Autorin ist der Meinung, die Distributivkräfte (Marketing, Werbung, Transport, Logistik, Steuerung und Prognose des Absatzes) würden durch digitale Technik in ihrer Wirksamkeit enorm beschleunigt.
Sie sagt, die digitalen Geschäftsmodelle lebten vor allem vom Versprechen einer unendlichen Marktausdehnung, eines ubiquitären Konsums und einer scheinbar garantierten Wertrealisierung. Nichts sei verführerischer für Unternehmen als dieses Versprechen. Alle Strategien der Digitalisierung zielten auf Wachstum. Diese Beobachtung sei in ökologischer Hinsicht desaströs.
Meine stille Hoffnung: Ökologie und Marktwirtschaft ließen sich vereinbaren, wird durch Sabine Pfeiffers soziologische Analyse schwer angefochten. Sie sieht in vielfältiger Hinsicht die Digitalisierung als „Brandbeschleuniger“ für ökologische und soziale Krisen.
In der kapitalistischen Logik sei es immer wettbewerbsentscheidender neue Märkte möglichst schnell zu erschließen und vor allem beim Absatz schneller zu sein als die Konkurrenz. Es komme darauf an, Märkte und Produktion in Echtzeit aufeinander abzustimmen. Dafür seien Künstliche Intelligenz und Big Data geeignete Hilfsmittel. Personalisierte Werbung und eine Ausdehnung der Anzahl der Verkaufsentscheidungen seien in der Entfaltung der Distributivkraft entscheidend. Unternehmen, die jetzt besonders konsequent digital unterwegs seien, hätten den größten Erfolg.
Sie zitiert einen Satz, bei dem ich mich mit meinem Zutrauen in die Reformierbarkeit der Marktwirtschaft getroffen fühle: „It’s easier for most people to imagine the end oft the planet than to imagine the end of capitalism“.
Damit wäre die Diskussion eröffnet: Ob und inwiefern die kapitalistische Wirtschaftsweise die Ursache für das ökologische Desaster darstellt? Sabine Pfeiffer plädiert für eine Veränderung der Logik. Das drückt sich etwa in einer ihrer Design-Beschreibungen gegen das Desaster aus: „Digitalisierung als Distributivkraft müsste im Bereich Werbung und Marketing genutzt werden, um Konsum zu minimieren, auf ökologische Folgekosten hinzuweisen und den Bedarf an Produkten ohne echten Gebrauchswert nach und nach auszutrocknen.“
Ich freue mich auf die offene Diskussion dieser Fragen im Rahmen der Online-Tagung „Der demokratisierte Algorithmus – 30 Jahre Forum Soziale Technikgestaltung“ vom 24. bis 25. November 2021. Die Soziologin Prof. Dr. Sabine Pfeiffer wird ein Impulsreferat halten und ihre Thesen mit uns diskutieren. Herzliche Einladung zur Online-Tagung.
Karl-Ulrich Gscheidle ist Wirtschafts- und Sozialpfarrer beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) in Reutlingen. Der KDA ist ein Fachdienst der Evangelischen Akademie Bad Boll in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.