Wie kommen wir da wieder heraus? Was ist die beste Exit-Strategie? Auf welchem Weg kann das Leben wieder zur Normalität zurückkehren? Fragen dieser Art beherrschen kurz vor dem Osterfest inmitten der aktuellen Corona-Krise die öffentliche Diskussion. Exit-Fahrplan, Exit-Strategien, Exit-Optionen – diese Wortwahl vermittelt den Eindruck: Wir können bald wieder so weitermachen, wie wir Mitte März aufgehört haben. Das Leben verläuft wieder in den üblichen, gewohnten Bahnen und alles geht einfach weiter wie bisher.
Der Exit-Fahrplan der „Sieben Wochen ohne Pessimismus“, also der Fahrplan des Fastenkalenders der evangelischen Kirchen seit Mitte Februar, sieht für den Ostersonntag den „Entwurf für ein Osterlied“ von Rudolf Otto Wiemer vor. Es beginnt mit den Worten:
„Die Erde ist schön, und es lebt sich
leicht im Tal der Hoffnung.
Gebete werden erhört. Gott wohnt
nah hinterm Zaun.“
Ja, könnten wir doch endlich wieder leicht im Tal der Hoffnung leben und die schöne Erde genießen, ohne dabei zu denken: Ist mein Nachbar vielleicht ein Virenträger? Halte ich wirklich zwei Meter Abstand ein? „Gott wohnt nah hinterm Zaun“: Könnten wir doch endlich wieder einmal Nähe hinter dem Zaun spüren und hinter allem Gottes wunderbar führende Hand erfahren.
Der „Entwurf für ein Osterlied“ spricht hier jedoch nicht von einem Wunsch und einer Sehnsucht, sondern von einer festen Zuversicht. Es ist kein „könnte“ und „würde doch“, sondern ein reiner Indikativ, die Wirklichkeitsform also: „Die Erde ist schön“. Hinter diesem Indikativ steht Gottes Handeln: Jesus Christus ist auferstanden. Der Exit aus dem Tod am Karfreitag ist vollzogen. Es geht um keine noch zu verhandelnde Exit-Strategie oder um einen noch unsicheren Exit-Plan, sondern um einen vollzogenen Exit aus dem Tod.
„Das Gras ist unverwelklicher
Grün als der Lorbeer. Im
Rohr der Rakete
nisten die Tauben.“
Der Exit aus dem Tod von Karfreitag ist also nicht die Fortsetzung des Lebens nach dem alten Muster. Im Gegenteil: Die Koordinaten des Lebens haben sich erheblich verändert. Das „Rohr der Rakete“ wird zum Ort, an dem neues Leben entsteht. Die Exit-Strategie des Osterfestes ist damit die Feier eines neuen Zusammenlebens, eines Überdenkens der überkommenen Verhaltensweisen, eine Überwindung der lebensfeindlichen Strukturen. Wer Ostern feiert, der schließt die Welt des Todes hinter sich ab und geht neue Wege. Definitiv. Nicht mit „wenn und aber“ oder mit „vielleicht“, sondern mit aller Entschiedenheit.
„Nicht irr surrt die Fliege an
Tödlicher Scheibe. Alle
Wege sind offen. Im Atlas
fehlen die Grenzen.“
Ostern in Zeiten der Corona-Krise feiern, heißt dann aber auch, die verborgene Sehnsucht hinter allen menschlichen Exit-Strategien, es könne danach so weitergehen wie bisher, grundsätzlich in Frage zu stellen. Ist nicht der Tod, den dieses Virus zehntausendfach gebracht hat, nicht auch eine Folge eines Lebens auf Kosten der tierischen Kreatur, des Klimas, der Menschen in den Ländern des Südens und der Gesundheit vieler? Können wir wirklich so weiter machen, als sei nichts geschehen? Es mehren sich die Stimmen derer, die von einer anderen Zeit sprechen. Ursula von der Leyen, die EU-Kommissionspräsidentin, spricht sich für „achtsame Globalisierung“ aus. Nun würden Gesundheit und Klima bei jeder wirtschaftlichen Entscheidung mit am Kabinettstisch sitzen. Oder: Der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa von der Friedrich-Schiller-Universität Jena meint, dass es, wenn wir Glück haben, zu einer „Art Relevanzverschiebung“ nach der Krise kommen könne. „Wir werden nach der Krise sicher wieder beschleunigt leben. Aber die Welt um uns herum, die Welt, die uns sehr nahe ist, wird womöglich wieder wichtiger für uns geworden sein.“ Oder: Das Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main spricht in einem Szenario nach dem Exit von einer „resilienten Gesellschaft“. „Die Weltgesellschaft lernt aus der Krise und entwickelt resiliente, adaptive Systeme.“ „Gesellschaftliche Tiefenströmungen“ in Richtung Postwachstum und Wir-Kultur werden durch die kollektive Corona-Erfahrung aus der Nische in die Mitte der Gesellschaft gespült.
Solche Perspektiven und Visionen vermitteln uns in dieser Krise Mut und Hoffnung.
Auch der „Entwurf für ein Osterlied“ endet mit einem vielversprechenden Aufruf:
„Der Engel steht abends am Tor. Er
hat gebräuchliche Namen und
sagt, wenn ich sterbe:
Steh auf.“
Das Aufstehen muss folgen. Jetzt. Ihr und unser gemeinsames Aufstehen. Beseelt von einem göttlichen Exit aus der Welt des Todes. Auf dass unsere menschlichen Exit-Strategien nicht eine Verlängerung der tödlichen Lebensstrategien von gestern sind. „Steh auf.“ Österlich von einem neuen Geist beseelt. „Steh auf.“