Gut 60 Jahre lang war der am 3. Juni 2024 im Alter von 98 Jahren verstorbene Theologe Jürgen Moltmann eng mit der Evangelischen Akademie Bad Boll verbunden.
Denn das Denken dieses weltweit mit am einflussreichsten Theologen des 20. Jahrhunderts entstand im Dialog mit der Zeit und der Gesellschaft. Er betrieb eine Theologie im Gespräch. Die Akademie war für ihn darum einer der ersten Orte, an dem er seine Theologie zur Diskussion stellen, im Gespräch weiterdenken und mit wachem Verstand die Fragen der Zeit aus der Perspektive christlicher Hoffnung und protestantischer Ethik diskutieren konnte. Noch bevor er 1966 für 27 Jahre an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Tübingen Systematik und Ethik lehrte und die kleine Universitätsstadt zu einem begehrten Ort für Theologiestudierende aus aller Welt machte, war er 1966 Hauptreferent auf der Akademietagung „Zukunftserwartung und Ethik“.
In seinem Vortrag auf der Tagung 1966 stellte er seine zwei Jahre zuvor erschienene „Theologie der Hoffnung“ vor. Auch dieses Buch, eines der weltweit bedeutendsten theologischen Bücher des 20. Jahrhunderts, war im Gespräch entstanden. In der produktiven Auseinandersetzung mit Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“. Moltmanns „Theologie der Hoffnung“ inspirierte Theolog*innen auf der ganzen Welt und spielte eine große Rolle in den Befreiungstheologien Lateinamerikas und Koreas. Denn sie lebte aus dem festen Glauben an das Kommen Gottes, des Gekreuzigten und Auferstandenen. Diese Hoffnung hatte das Leid der Welt, die Not der Unterdrückten im Blick und vertraute doch zutiefst auf die Möglichkeit einer gerechteren, einer besseren Welt. Es war keine Hoffnungstheologie, die nur vertrösten wollte. Sie wollte und kann motivieren für die Arbeit an einer Welt, in der Frieden und Freiheit, Gerechtigkeit und ein sorgsamer Umgang mit der Natur aus dem Geist des Lebens erstritten werden kann.
Kirche hat für Moltmann darum nur eine Zukunft, wenn sie von dieser Zukunftshoffnung lebt, sich für diese bessere Welt einsetzt. Kirche lebt aus dem Geist der messianischen Hoffnung auf das Kommen Gottes, das aus und in dieser Welt eine neue Welt schafft. Wer mit dieser messianischen Hoffnung unterwegs ist, der klebt darum nicht am heute und nimmt alle Ungerechtigkeit hin. Wer dieser Hoffnung vertraut, der sehnt sich nicht zurück in eine vermeintlich „gute alte Zeit“. Messianische Hoffnung drängt auf eine bessere Zukunft, gibt dieser alten Welt die Möglichkeit des Neuwerdens. Damit ist diese Theologie zutiefst politisch. Denn Christenmenschen können nicht anders, sie müssen sich einmischen in die Herausforderungen ihrer Zeit. Sie mischen mit in der Hoffnung auf den Gott des Lebens, der stärker ist als alle Kräfte des Todes. Sie gehen dem Kommen Gottes entgegen und stellen sich somit den Herausforderungen ihrer Zeit. Sie kämpfen für all das, für was die messianische Hoffnung steht: Frieden und Befreiung, Klimagerechtigkeit und das Leben.
Christenmenschen können keine Reaktionäre sein.
Jürgen Moltmanns Theologie hat die Realitäten der Welt im Blick und ist doch getragen von der Hoffnung, dass nichts so bleiben muss, wie es ist. Diese wache Zeitgenoss*innenschaft möchte die Evangelische Akademie Bad Boll als Vermächtnis von Jürgen Moltmanns Theologie in ihrer Arbeit fortsetzen.
Wolfgang Mayer-Ernst (Pfarrer und Studienleiter für Politik und Recht)
Mehr zu Jürgen Moltmann
• „Theologie der Hoffnung im 21. Jahrhundert“ (Vortrag von Jürgen Moltmann, 03.08.2019)
• „Der Geist der Freiheit und die Freiheit des Geistes“ (Episode des Podcasts „Glau-be.Liebe.Hoffnung.“ zu Jürgen Moltmanns 95. Geburtstag)
• „Großer Lehrer der Kirche“ (Artikel zu Jürgen Moltmanns 95. Geburtstag)