Kennen Sie das auch? Nach den vielen Corona-Monaten fühlt sich die persönliche Begegnung „von Angesicht zu Angesicht“ noch etwas fremd an. Es ist ja nicht so, dass wir in mehr als einem Jahr Corona das Reden verlernt hätten. Aber durch die digitale Kommunikation haben wir, so Corinna Fromme in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 16. Oktober 2021, den Muskel der „beiläufigen Kommunikation eine lange Weile nicht trainiert“. Sehr treffend! Weiter schreibt sie: „Zu sehr haben wir uns in einer Kommunikation eingerichtet, die uns gefühlt in eine digitale Endlosschleife katapultiert hat. Läuft doch gut mit den Videokonferenzen, findet der Geschäftsführer: kostet weniger, sagt die Controllerin, wenn alle im Home-Office sitzen, da könnte man doch Etagen vermieten …“ Aber der Mensch, darauf weist die Redakteurin der SZ zu Recht hin, ist ein zutiefst soziales Wesen, der den sozio-emotionalen Austausch benötigt, um zufrieden zu sein. Und das kann die digitale Kommunikation nur eingeschränkt bieten. Darum macht Corinna Fromme in ihrem Artikel Mut, sich wieder aufeinander zuzubewegen, miteinander zu erzählen und sich in der Begegnung kreativ zu verlieren. Eben „von Angesicht zu Angesicht“, wie es in der biblischen Überlieferung sprichwörtlich heißt. „Einfach mal zum Chor, zum Stammtisch, […] und dann bleiben, mal schauen, worüber geredet wird. Einfach mal die Freundin, von der man lange nichts gehört hat, anrufen, einfach mal ins Büro fahren. Es kann beglückend sein.“ Ja, wir müssen aus der digitalen Zurückhaltung, aus einem gewissen Cave-Syndrom, wieder herauskommen, um den glücklichen Zufall zuzulassen.
Sie werden jetzt vielleicht einwenden: Wir haben uns doch auch in der Videokonferenz gesehen. Na ja, in einer gewissen Art und Weise schon – aber eben nicht „von Angesicht zu Angesicht“. Das hebräische Wort für „Angesicht“, dem diese Redewendung entlehnt ist, stammt von einem Verb ab, das am besten mit „zuwenden“, „herannahen“, „aufmerksam sein“, „achtgeben“ zu übersetzen ist. Und das ist keineswegs nur eine Sache des Gesichts, sondern ein Ausdruck der gesamten Person. Durch die Haltung, durch die Art der körperlichen Zuwendung, durch das gesamte Gegenüber signalisieren wir: Ich wende mich dir ganz und gar zu.
90 Prozent der gesamten Kommunikation, die wirkt, wird unterhalb des Kopfes erzeugt und transportiert. Möglicherweise haben wir uns auch in unserer theologischen Tradition spätestens seit der Aufklärung auf das „Angesicht“, also auf das Gesicht, konzentriert und nur die verstandesmäßigen Kräfte angesprochen. Die Frage der Emotionalität bleibt damit eher unterbelichtet – und diese ist meist sehr viel wirksamer als jedes vernünftige Wort. Darauf hat die US-amerikanische Philosophin Martha Nussbaum in ihren Beiträgen überzeugend aufmerksam gemacht. Da regt mich dann die provozierende Frage aus dem 1. Korintherbrief doch sehr an: „Wisst ihr denn nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“ (1. Kor 6,19). So kann ich mit Paulus präzisieren: Die leibhaftige Begegnung ist der Moment, in dem die geistgewirkte Kreativität wachsen kann. Und dann sollte „von Angesicht zu Angesicht“ eben mehr sein als das Gegenüber eines Gesichts auf einem Bildschirm ...
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