In der Türkei wird am 14. Mai gewählt. Die Wahlen werden darüber entscheiden, ob der Staat zukünftig zu mehr Rechtsstaatlichkeit und einem versöhnlichen Umgang mit Minderheiten und Religionen findet.
Die Menschen in der Türkei haben die Wahl zwischen Präsident Erdogan und seinen drei Herausforderern: dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, und Muharrem Ince, Vorsitzender der neu gegründeten Memleket Partei (Vaterland) und Sinan Ogan, Kandidat des Wahlbündnisses Ata Ittifaki.
Nach 20 Jahren der Regierung unter dem jetzigen Präsidenten Erdogan tendiert die Stimmung in der Bevölkerung erstmals hin zu einem Wechsel. Immer mehr Wahlberechtigte haben Zweifel an seiner Regierungsfähigkeit. Die Beschneidung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die willkürliche Inhaftierung von Oppositionellen, der autoritäre Führungsstil, die Kontrolle von Justiz und Medien, aber insbesondere auch die schlechte Wirtschaftslage, der Verfall der Währung und die hohe Inflationsrate stellen seine Politik in Frage.
Präsidentschaftskandidat Kılıçdaroğlu tritt die Wahl mit dem Versprechen an, das Volk miteinander aussöhnen zu wollen und die Armut zu bekämpfen. Die Tatsache, dass sich sechs sehr unterschiedliche Parteien auf einen Kandidaten und auf ein gemeinsames Programm zur Verwirklichung der Prinzipien von Recht und Demokratie geeinigt haben, wird von vielen als positiv bewertet, wohlwissend, dass das heterogene Bündnis im Falle eines Wahlsiegs vor großen Herausforderungen stünde.
Der zweite Präsidentschaftskandidat, Muharrem Ince, Vorsitzender der neu gegründeten Memleket Partei, hatte bei der Wahl 2018 klar gegen Erdogan verloren. Seine Kandidatur wird als die eines Einzelkämpfers mit schlechten Chancen gewertet. Dennoch können die Voten für ihn und den aussichtslosen Kandidaten Sinan Ogan die Opposition schwächen und dazu beitragen, dass ein zweiter Wahlgang erforderlich sein wird. Einen solchen gab es in der Türkei noch nie. Es ist somit völlig offen, wie die Präsidentschaftskandidaten ggf. mit einem solchen Resultat umgehen werden.
Die Kurden und Kurdinnen spielen bei der Wahl eine wichtige Rolle. Rund 20 Prozent der Menschen in der Türkei haben kurdische Wurzeln. Bei der letzten Wahl stimmte noch rund ein Drittel von ihnen für Präsident Erdogan. Doch mittlerweile ist viel passiert. Von dem Erdbeben im Februar dieses Jahres waren die kurdischen Gebiete stark betroffen. Das schlechte Krisenmanagement und die Ursachen für die hohe Zahl der Erdbebenopfer werden von den Betroffenen direkt der Regierung zugschrieben. Die türkische Architektenkammer gab den Behörden eine Mitschuld an der Katastrophe, da nachträglich tausende ungenehmigte Bauten genehmigt worden seien. Zudem seien die seit 2001 geltenden strengeren Bauvorschriften zur Erdbebensicherheit nicht eingehalten worden.
Das Erdbebengebiet im Südosten der Türkei haben mittlerweile über drei Millionen Menschen verlassen. Nur rund 133.000 haben sich für die Wahl in anderen Provinzen registriert. Es steht also in Frage, inwieweit die Bürger*innen aus der Region überhaupt die Möglichkeit haben werden, an der Wahl teilzunehmen.
Unabhängig davon wird das Votum der Kurden und Kurdinnen wichtig sein. Die Tatsache, dass sie unter der jetzigen Regierung teils verfolgt, ihre Sprache nicht anerkannt, und es keinen erkennbaren Versöhnungsprozess gibt, könnte dazu beitragen, dass sich die Türkei politisch neu aufstellen wird.
Inwieweit eine neue Regierung dann tatsächlich das Land zu mehr Demokratie und Freiheit führen wird, bleibt abzuwarten. Aber die Hoffnung darauf ist bei vielen Menschen in der Türkei spürbar.
Auf die Frage, ob und wenn ja, wie der amtierende Präsiden Erdogan seine Macht ggf. abgeben wird, geht auch unser soeben erschienener Podcast mit Prof. Dr. Kizilhan ein. Er ist hier abrufbar. Darin sprechen wir mit ihm über die Lage der Kurden und Kurdinnen in den kurdischen Gebieten und in Deutschland. Sie war auch Thema der diesjährigen Tagung zu Kurdistan im März dieses Jahres. Für März 2024 ist die nächste Veranstaltung über die Situation der Kurden und Kurdinnen in den kurdischen Gebieten und Europa geplant.
Die Volljuristin Dr. Carola Hausotter ist seit 2021 Studienleiterin des Aufgabenbereichs Kultur, Bildung, Religion. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Friedensethik und Transkulturalität. Sie lehrt nebenberuflich an der Hochschule in Fulda und der Ev. Hochschule in Ludwigsburg im Fachgebiet Menschen- und Minderheitenrechte. Bis 2007 war sie Koordinatorin des Netzwerks Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko in Stuttgart.