Um die dritte Infektionswelle zu brechen, werden derzeit viele Ansätze diskutiert. Dass aktuell die Quote der Homeoffice-Arbeitsplätze (auch Tele-Arbeit) immer noch niedriger liegt als im Frühjahr 2020, mag auch daran liegen, dass die „Tele-Arbeit“ anspruchsvoller zu organisieren ist, als auf den ersten Blick erkennbar war. Dennoch bin ich selbst davon überzeugt, dass es derzeit geboten ist, so viel Arbeitszeit wie möglich in Distanz zu verbringen.
Im ersten Lockdown gab es noch wenig Erfahrungen in der Breite und manche Arbeitnehmer_innen hatten zunächst den Verdacht, dass eine Verlegung ins Homeoffice der erste Schritt zur Entlassung bedeute, wie mir ein Betriebsrat berichtet hat. Diese Sorgen sind aber dann verflogen und in jenem Betrieb wurde mit einem wöchentlichen Wechselsystem von Präsenz und Homeoffice reagiert.
Der „Schutzfaktor“ zeigt sich ja nicht nur, weil am Arbeitsplatz keine Ansteckung möglich ist, sondern auch der Weg zur und von der Arbeit wegfällt, wo eine Infektion möglich wäre.
Wenn die Fragen der Datenablage, Datensicherheit und einer leistungsfähigen Internetanbindung geklärt sind, zeigt sich, dass eine hohe Quote von „Heim-Arbeits-Plätzen“ die Einzelnen und die Gesellschaft schützt.
Umso mehr muss die Frage gestellt werden, wie Zusammenarbeit und Teamgeist in der Distanz dauerhaft erhalten bleiben können, denn es wird darauf ankommen, nicht nur Notlösungen für eine Übergangszeit, sondern dauerhafte Spielregeln für die Tele-Arbeit zu entwickeln.
Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass diese Fragen nur ein bestimmtes Segment der Arbeitswelt betreffen. Denn weder Produktion noch Handel können vom Küchentisch aus betrieben werden. Aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmern in diesen Wirtschaftsbereichen stellen sich ganz andere Fragen, wie die Arbeit pandemiekonform organisiert werden kann.
Vertrauen als Gegenstück zur Selbstorganisation
Die Arbeit am heimischen Schreibtisch erfordert von Teamleitungen eine kreative Betreuung und Gestaltung der digitalvermittelten Beziehungen und regelmäßige Absprachen. Viele Teams haben täglich oder wöchentlich kurze Austauschrunden, um sich gegenseitig über Projekte und Ziele, aber auch Herausforderungen auf dem Laufenden zu halten. Das ermöglicht ein Verständnis für die Situation der Kolleg_innen, und fördert den Teamgeist.
Stärker als in Vor-Ort-Situationen wird bei der Tele-Arbeit aber immer das Vertrauen sein, das die Vorgesetzen in die Mitarbeitenden haben und in die Arbeitsprozesse „einspielen“. Nur dann kann die Identifikation mit dem Team und den Aufgaben erhalten bleiben und die Selbstverantwortung und -organisation der Arbeit wachsen.
Zugleich ist aber die Entgrenzung von Arbeits- und Ruhezeiten sowie Dienst- und Privatsphäre eine große Gefahr, der nicht nur der Arbeitsschutz im engen Sinn, sondern auch die gesamte Unternehmenskultur entgegenwirken müssen. Die psychischen Gefährdungen nehmen hier eher zu als ab.
Gefahren der Isolation
Wenn kein informeller Austausch bei der Kaffeepause mehr möglich ist, kommen manche kreativen Momente einfach nicht zustande, die für einen Teamprozess wichtig sind. Das lässt sich zwar bis zu einem gewissen Grad mit freien Gesprächsphasen in der Video-Konferenz auffangen, doch für die Einzelnen ist die Gefahr der Isolation und der Vereinsamung sicherlich viel gravierender als eine Verlangsamung kreativer Prozesse es für Firma sein können.
Digitales Paradox
Hier könnte für die Zeit nach den Kontaktbeschränkungen ein digitales Paradox zu greifen sein: Kurze, sachbezogene Besprechungen werden auch weiterhin digital stattfinden, kreative Entwicklung aber wird ergänzend ihren eigenen Stellenwert bekommen und immer wieder in ausführlichen Begegnungen und mit mehr Zeit gestaltet werden.
Ressourcen
Außer den eingesparten Wegzeiten kann auch ein geringerer Energieverbrauch bei online Formaten statt langen Auto- oder auch Zugreisen veranschlagt werden. Allerdings: Die Tele-Arbeit verbraucht natürlich auch Ressourcen in den Rechenzentren der Konferenz-Tools und natürlich auch vor Ort.
Homeoffice ist derzeit unter Pandemie-Gesichtspunkten dringlich auszubauen – unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen und mit guten Absprachen zwischen allen Beteiligten kann dabei auch Teamgeist und Kreativität erhalten bleiben.
Da es sich abzeichnet, dass diese Arbeitsform dauerhaft und in der Breite zu den bisher bekannten Kooperationsprozessen hinzukommen wird, ist es nötig, sich über die Anforderungen an Tele-Arbeit zu verständigen. Somit bleibt es nicht mehr nur als Notlösung, sondern als eigenständige Qualität des Arbeitens für alle Beteiligten gut lebbar.
Diese und weitere Gesichtspunkte können Sie beim nächsten online talk von „Church Action on Labour and Life“ mit europäischen Teilnehmenden am 28. April 2021, 17.30 – 19.00 mit Welf Schröter (in englischer Sprache) diskutieren. Hier können Sie sich anmelden.
Seit September 2016 ist Albrecht Knoch Wirtschafts- und Sozialpfarrer beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) in Ulm. Der KDA ist ein Fachdienst der Evangelischen Akademie Bad Boll in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.
Darüber hinaus ist Abrecht Knoch Mitglied im Bündnis „Netzwerk Soziales Europa“ und derzeit der Koordinator des Europäischen Netzwerks „Church Action on Labour and Life“ (CALL) in der „Konferenz Europäischer Kirchen“. Seit vergangenem Jahr organisiert Albrecht Knoch die „CALL talks“, eine online Vorbereitung der CALL-Tagung in Straßburg zum Thema „Wellbeing of Digitalized Societies and Workplace“.
Mehr zu CALL finden Sie hier: CALL Network | CEC, das Netzwerk hat im letzten Jahr eine Stellungnahme zur Digitalisierung in Corona-Zeiten veröffentlicht.
In der Kirchenzeitung „Réformes“ aus der französischen Schweiz wurden Impulse aus CALL zum Thema Homeoffice aufgenommen: Télétravail: quels bons réflexes adopter? | Réformés.ch.