„Wir wissen nicht, was da auf uns zukommt.“ „Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, wird es hunderttausende, weltweit Millionen Menschenleben kosten, die Schäden werden riesig sein.“ „Auf die Disziplin jedes einzelnen wird es ankommen“. „Wenn wir das schaffen, haben wir etwas geschafft, was noch niemals in dieser Breite geleistet worden ist.“ „Es wird die Wirtschaft zunächst viel kosten, und damit letztlich auch uns alle, aber das Leben und die Gesundheit von vielen Erdenbürgern stehen auf dem Spiel.“
Aussagen wie diese laufen derzeit durch alle Medien. In der Tagesschau wurde letztens gemeldet, bis zu 95% der befragten Bundesbürger seien mit den Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung in der „Coronakrise“ zufrieden und unterstützten sie. Die meisten Menschen halten sich an die Beschränkungen, manche in einer fast schon paranoiden Form.
Nur: Die Aussagen oben stammen eigentlich gar nicht aus der COVID-19-Thematik. Sondern aus dem Klimaschutz. Ohne Zweifel ist der menschengemachte Klimawandel ebenfalls eine Pandemie: sogar ganz im Wortsinn, „alles Volk betreffend“. Mit dem prognostizierten Potenzial für weitaus größeren Schaden als durch Corona.
Vergangene Woche fiel meine Tagung aus. Es wäre meine erste im Rahmen einer Krankheitsvertretung gewesen: „SMV macht (Klima-)Politik“ war der Titel. SMV steht für „Schülermitverantwortung“ – Schülerinnen und Schüler, die sich an ihrer Schule gesellschaftspolitisch engagieren, zum Beispiel als Klassensprecher. Unsere Vorbereitungen für die Tagung waren bereits abgeschlossen, wir hatten interessante junge Menschen als Referent_innen eingeladen: Sie sollten die Schülerinnen und Schüler an ihren Erfahrungen als Jugendräte oder Fridays-for-Future-Aktivisten teilhaben lassen. Sie sollten mit ihnen darüber diskutieren, was an Schulen klimapolitisch möglich ist, und wo frustrierende Grenzen existieren, die nicht innerhalb vorgegebener Rahmen überwindbar sind. Wir werden das Thema sicher nachholen, sobald das wieder möglich ist.
Und trotzdem: Es beschäftigt mich weiter. Wir erleben doch gerade eine ungeahnte Welle an Disziplin und Solidarität. Wir sehen, was plötzlich geht, obwohl es vor Corona meist nicht oder nicht in diesem Ausmaß gegangen war. Es kommen Probleme auf, es werden Lösungen gefunden. Noch nicht für alles, aber ich gehe mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands, Heinrich Bedford-Strohm, der in dem Talkshow-Format „hart aber fair extra“ am 23. März vor allem das Positive in den Blick nahm und geradezu von den Menschen ins Schwärmen geriet: Einkaufen für andere, Applaus für Helfer, Musik von Balkonen!
Ich glaube, im Moment wird noch gehobelt. Da fallen Späne, da gibt es manchmal schon großartige Lösungen, aber da fallen manchmal auch schroffe Aussagen. Da ist für so manchen noch längst nicht alles gelöst. Probleme stellen sich in manchem Betrieb noch als unüberwindliches Hindernis dar – etwa die Betreuung von Kindern bei zeitgleichem Homeoffice. Hier bleibt die Last nach wie vor oft bei den Eltern hängen.
Wir persönlich können das derzeit ganz gut regeln – unsere Kinder sind in der zweiten und fünften Klasse. Sie arbeiten schon ganz gut selbständig in den von uns festgelegten „Homeschool“-Zeiten, und das Homeoffice kann weitgehend funktionieren. Aber es gibt viele Fälle, in denen das nicht so einfach ist. Hier wünschte ich mir, dass bei den riesigen Rettungsschirm-Versprechen von Staat und Land dieses Thema mehr zur Sprache käme. Eltern können nicht gleichzeitig ihren Arbeitgeber (Vollzeit Homeoffice), ihre Kinder (Betreuung und Homeschooling), den Infektionsschutz (keine Kontakte) und ihr Bankkonto (volles Gehalt) zufrieden stellen.
Die Gesellschaft will und braucht Kinder – und in so mancher Situation (nicht nur in dieser Krise) stellt sich heraus, dass es in der Arbeitswelt deutlich leichter ist, wenn man keine hat. Man darf hier auch mal deutliche Worte finden: Das ist nicht nur nicht zeitgemäß, nein, es ist nicht zukunftsfähig. Und eine Schande für unsere reiche und vermeintlich hoch entwickelte Gesellschaft. Aber wie ich schon sagte: Derzeit wird noch gehobelt, nicht gefeilt. Ich habe Vertrauen, dass wir Lösungen finden, die uns nicht nur in der Krise weiterhelfen, sondern uns auch als Gesellschaft, als Zivilisation voranbringen.
Und hier führen mich meine Gedanken wieder zum Klimawandel zurück: Was muss passieren, dass die Bevölkerung, die Menschheit, der einzelne Weltenbürger sich dort genauso engagiert, sich so einschränken lässt wie zurzeit? Vielleicht hat Heinrich Bedford-Strohm schon eine Antwort gegeben: Es geht doch nicht nur um Einschränkung, nicht um Verlust, sondern um die Energie und Kreativität, mit der nun Neues, Sinnvolles entsteht. Nun liegt es an uns, dieses Neue auch nachhaltig werden zu lassen. Im Infektions- ebenso wie im Klimaschutz.
Dr. Thomas Haas ist seit 2017 als Studien- und Projektleiter tätig und verantwortete das Projekt „Ausbildung interkultureller Lotsen in zwei Landesverbänden“ im Rahmen des BMI-Programms „Zusammenhalt durch Teilhabe“. Aktuell arbeitet er als Studienleiter im Fachdienst Jugend ∙ Bildung ∙ Politik und ist im Themenbereich „Gesellschaft, Politik, Staat“ beheimatet.