Demokratie braucht Kreativität!

Einblick in die Aufgaben unseres Fachdienstes Jugend ∙ Bildung ∙ Politik

Was benötigt eine gesunde Demokratie (auch)? In aller Kürze: Junge sozial, politisch und kulturell engagierte Menschen, die sich für deren Weiterentwicklung einsetzen. Der Fachdienst bietet Bildungsveranstaltungen oder Fachtagungen zu (gesellschafts-)politischen Themen für Jugendliche und junge Erwachsene sowie für Multiplikator*innen und Entscheidungsträger*innen an. 

Immer wieder erreichen uns Fragen nach den Arbeitsinhalten und Wirkungsweisen unseres Fachdienstes. Heute sprechen wir mit Sigrid Schöttle, Studienleiterin mit dem Schwerpunkt Jugend.Bildung.Politik, über die Rolle von Kunst und Pädagogik für die politische Meinungsbildung und das Engagementlernen in einer gelebten Demokratie. Hintergrund ist die Veranstaltung „ARTiculation! U 27“.

Artikulation bedeutet in der Phonetik: Aussprache. Bildungssprachlich heißt es: in Worte fassen, zum Ausdruck bringen. Was bedeutet das Wortspiel „ARTiculation“ für Dich?

Wortspiele lassen Gedanken in mehrere Richtungen hüpfen. Man purzelt kurzerhand ins eigene Philosophieren. Sofort ereignet sich entdeckendes Lernen, um was es bei der Veranstaltung gehen wird. Deshalb liebe ich dieses Stilmittel. Mit diesem Wortspiel im Titel wollen wir das kunst-, körper- und bildersprachliche Konzept des Workshops andeuten: Im kreativen Prozess soll zum Ausdruck und in Dialog gebracht werden können, was die Teilnehmenden mitbringen, was sie beschäftigt und vielleicht verunsichert, was eher Ausdruck denn schon Absicht ist, was zur Beratung mit anderen kommen will. Beim Nürtinger 16. „Internationalen kunstpädagogischen Forschungskolloquium zu Fragen der professionsbezogenen künstlerischen und ästhetischen Bildung“, wurde dies als eine „Politik der Erfahrung“ benannt, als eine andere Qualität der Weltaneignung, die einer zunehmenden digitalen Vereinnahmung des Lebens gegenübergestellt wird. 

ARTiculation betont den künstlerischen Aspekt. Ist das eine konkrete Methode, die ich erlernen kann? Kannst Du ein Beispiel nennen?

Im Workshop bieten mehrere Künstler*innen verschiedene künstlerische Techniken an. So eröffnen wir ein kreatives Feld mit reichen Ausdrucksmitteln und Erfahrungszugängen. Das pädagogische Konzept, das zugrunde liegt, ist das des „Art of Hosting“ (AoH), also der Kunst des Gastgebens in Gruppen, die gelingende Dialoge ermöglicht. Da ist also noch eine weitere Kunst im Spiel. AoH ist ein Konzept, das auf die Weisheit der Vielen baut, das individuelle Kraft wertschätzt und stets auf der Suche nach dem innewohnenden Gelingen ist. Auf der Suche sein und bleiben, auch wenn ein Gelingen nicht garantiert ist. Sich Offenheit bewahren. Das ist eine nach vorn gerichtete und resiliente Grundhaltung, die es angesichts der vielen Fragen und Verunsicherungen (nicht nur) für junge Menschen mehr denn je braucht. 

Wie wird der Bezug zur Demokratie bzw. eine Wirksamkeit diesbezüglich hergestellt? 

Durch die gezielte Entscheidung für die so genannte „brennende Frage“ stellen wir das Arbeiten am gewollten, hier politischen Thema Demokratie her. In dem Maße, wie wir die politische Relevanz von Wahrnehmung und Erfahrung anerkennen und ihr Ausdrucksmittel zur Hand geben, ermöglichen wir (gesellschafts-)politische Transformationsprozesse, so beschreibt es Tobias Loemke, Nürtinger Professor für Kunst und Kunstpädagogik. Der Fokus richtet aus: „What you ask, is what you get“. Zu Beginn geht es um Wahrnehmung von Phänomenen und um darin enthaltene gemeinsame Themen, um die Klärung und Herausarbeitung von Anliegen. Anschließend wird ganz konkret an Ideen und Vorhaben und ersten eleganten Schritten zu einem frischen, energiegeladenen Engagement gearbeitet. So erreichen wir Wirksamkeit.

Noch eine Frage zum Fokus: Liegt dieser eher auf der individuellen Entfaltung oder auf dem Erleben von Gemeinschaft?

Ein systemischer Blick geht von vier gleichwertig vernetzten Faktoren in einem Bildungsprozess aus: Das THEMA/die Aufgabe, die die Gruppe zusammenführt, das WIR, das im Dialogischen entsteht, das ICH, das jeder einbringt und (um neue Erfahrung und erweitertes Wissen bereichert) verändert nach Hause mitnimmt. Das alles ereignet sich im GLOBE, dem geographischen und politischen Um-Feld, und der UmZeit, in der wir uns befinden. Es ist also ein Spinngewebe, das sich bewegt und entwickelt. Wer (freiwillig) ins Lernen einsteigt, möchte bewegt werden, möchte etwas verändern. Insofern sind diese vier Faktoren unsere konzeptionellen didaktischen Stellschrauben, worin sich der Einzelne im Thema UND in der Gruppe gleichermaßen entwickeln kann. Widerstandsfähige Seelen und ein gemeinschaftliches Empowerment für kreatives Mitwirken in einer lebendigen Demokratie ist unser Ziel. 

Sigrid Schöttle im Gespräch mit Kathrin Fechner

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