Stuttgart, Pressemitteilung vom 05. Dezember 2024 – Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. Dass die Ansätze zur Bekämpfung ebenso vielfältig sind, zeigte eine Diskussion im Welthaus Stuttgart. Voraus gingen Präsentationen zu zwei Beispielländern, am Anfang stand Kolumbien. Weil die deutsche Politik keine Atomkraft, keine deutsche Kohle und kein russisches Gas mehr will, wurden in den Jahren 2022 und 2023 jeweils über fünf Millionen Tonnen Steinkohle aus Kolumbien importiert. Dort sind große Konzerne wie Glencore (Schweiz) und Drumoond (USA) am Werk. „Ihnen werden Gesetzesverstöße, Umweltverschmutzung und Vertreibung der Einwohner vorgeworfen“, sagte Paola Tamayo, Filmemacherin und Mitglied des Netzwerks Rohstoffgerechtigkeit Baden-Württemberg. Menschen würden sogar ermordet – und als Guerilleros verkleidet, um die Tat zu rechtfertigen. Nun würden viele Windparks gebaut und verletzten die Territorien und die Weltanschauung des indigenen Volks der Wayuu: Teils stünden sie dicht an Häusern und Friedhöfen, so dass nach Ansicht der Wayuu die Toten nicht mehr ruhen könnten.
Marziyeh Bakhshizadeh, Professorin an der Theologische Hochschule Reutlingen, schilderte die Repression des iranischen Regimes. Vor einigen Tagen habe das Parlament ein Gesetz zur Bestrafung „unangemessener Verschleierung“ verabschiedet. Ein erster Verstoß könne mit umgerechnet bis zu 200 Euro bestraft werden, Wiederholungen mit bis zu 6.600 Euro. Den Frauen drohten zudem der Entzug des Reisepasses, die Sperrung von Bankkarten, der Verlust des Arbeitsplatzes und Führerscheinentzug. Dass internationaler Druck und Solidarität zu Veränderungen führen, zeige der Fall von Sakineh Mohammadi Ashtiani: Ihre öffentliche Steinigung wurde im Jahr 2010 ausgesetzt und seither habe es im Iran keine Steinigungen mehr gegeben – obwohl weiterhin gesetzlich zulässig. Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen erfordere eine enge internationale Zusammenarbeit, externen Druck und anhaltende Unterstützung für Volksbewegungen wie „Frauen, Leben, Freiheit“.
Warten auf die UN-Reform
Die Veranstaltung im Welthaus war eine Zusammenarbeit – der Evangelischen Akademie Bad Boll, der Theologischen Hochschule Reutlingen, der Evangelischen Frauen in Württemberg, der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS), von Pro Ökumene, Brot für die Welt und dem Welthaus Stuttgart.
Die Diskussionsrunde, moderiert von Carola Hausotter von der Evangelischen Akademie Bad Boll und Félicité Mugombozi von der Juristischen Fakultät der Universität Leipzig, blickte zuerst auf den Iran: Der Druck, den die Vereinten Nationen (UN) ausüben könnten, sei in den vergangenen Jahren nochmals geringer geworden, bedauerte Karin Nordmeyer, ehemalige Vorsitzende der UN Women Deutschland. Dafür hätten viele Staaten gesorgt, auch Deutschland. Die Vereinten Nationen müssten dringend reformiert werden. „Seit 40 Jahren versuchen wir, den UN-Sicherheitsrat zu reformieren, immer wieder scheitert der Sicherheitsrat am Veto einzelner Länder.“
Je mehr Frauen in der Politik es gebe, sagte die grüne Landtagsabgeordnete Catherine Kern, desto mehr könnten Frauenthemen nach vorne gestellt werden. „Das Land hat eine Partnerschaft mit Burundi, ich versuche, dort Frauenprojekte voranzubringen.“ Sie sitze auch im SWR-Rundfunkrat und kritisiere, wenn das Programm gesellschaftliche Bilder aus dem 19. Jahrhundert vermittle.
„Wir sind froh, dass wir etwas davon haben“, sagte Sylvia Dieter von den Evangelischen Frauen in Württemberg zum Lieferkettengesetz. Es nehme nicht nur die großen Konzerne, sondern auch die Zulieferer in die Pflicht, die allerdings Probleme mit der Umsetzung hätten. Das neue EU-Lieferkettengesetz sei weit weniger streng als die deutsche Version, nun sei die spannende Frage: Bleibe Deutschland beim jetzigen Stand, oder passe es sich nach unten an? Umstritten sei, ob das Klagerecht bleibe. Kern beklagte die aktuell vorherrschende Meinung, die Wirtschaft werde durch
Bürokratie gehemmt. In Gesprächen mit Unternehmen merke sie, dass diese durch das Lieferkettengesetz viele nützliche Daten gesammelt hätten. Die Frage sei: „Wo entsteht das große Unrecht, wo sind die dicken Brocken?“
Die Istanbul-Konvention als Vorbild
Seit 2018 ist die Istanbul-Konvention von 2010 auch in Deutschland verbindlich. Nordmeyer hat diese Konvention zum Schutz von Frauen mitverhandelt. Sie sieht die übersichtlichen 30 Paragrafen als Vorbild für noch fehlende weltweite Konventionen. Oft werde häusliche Gewalt nicht angezeigt oder Anzeigen würden wieder zurückgezogen. An dieser Stelle bringe die Istanbul-Konvention einen Fortschritt: Laut ihr werde alles verhandelt, was einmal angezeigt wurde.
Deutschland brauche keine neuen Gesetze, so Natalia Vejar Rueda vom Fraueninformationszentrum FiZ in Stuttgart. Es brauche die Umsetzung der bisherigen Gesetze und eine Evaluation durch eine neutrale Stelle. Nordmeyer plädierte hingegen für ein weiteres Gesetz: „Das Gewaltschutzgesetz muss kommen.“ Dieses kümmere sich auch um Trainingseinheiten für Justiz und Polizei. Dies sei wichtig, weil Richter keine Fortbildungspflicht hätten.
Wie viele Familienschutzplätze fehlen?
Die Zahl der fehlenden Schutzplätze hängt laut Dieter von der Art der Berechnung ab. Laut Europarat fehlten im Jahr 2020 in Baden-Württemberg 214 Plätze für Frauen und 420 Plätze für Kinder. Laut Istanbul-Konvention seien es aktuell 700 Plätze für Frauen und 1.200 Plätze für Kinder, die fehlen. Zu den – wenn auch in erheblich geringerem Umfang – nötigen Plätzen für von Gewalt betroffene Männer machte sie keine Angaben. Leider gebe es im Land noch immer Landkreise ohne Beratungsstellen und Frauenhäuser. Dieter forderte, Gewalterfahrungen als Fluchtursache anzuerkennen. Geflüchtete Frauen müssten geschützt untergebracht werden, ergänzte Kern.
Bei Klagen über miserable Zustände, so eine Zuhörerin, höre sie immer wieder den Satz „da sind wir nicht zuständig“. Ob sich da die Politik nicht oft aus der Verantwortung stehle, so ihre Anfrage an die Landtagsabgeordnete. Kern verwies auf die Gewaltenteilung zwischen Kommunen, Land und Bund. „Die verschiedenen Ebenen zusammenzubringen“, ergänzte Nordmeyer, „funktioniert oft sehr individuell.“ Um Geld zu kämpfen, sei immer eine schwierige Sache.
Eine mögliche Klage
Könnte das Lieferkettengesetz zum Stopp der Importkohle aus Kolumbien führen? Theoretisch ja, antwortete Kern auf eine Zuhörerfrage. Es müsse dafür eine Klage geben, etwa von Oxfam oder Amnesty International, und die Vorwürfe müssten belegt werden.
Die Schlussrunde erinnerte an eine Spannung: Wirksame Gesetze sind die eine, die Ächtung von Armut und Gewalt in den Köpfen der Menschen die andere Seite. Außerdem gab es Handlungstipps: Gewaltprävention fange bereits im Kindergarten an, es gelte Rollenbilder von klein auf zu verändern. Die Zuhörer könnten bewusst einkaufen, Abgeordnete anschreiben, unter Unrecht Leidenden eine Stimme geben und wenn nötig auch mal auf die Straße gehen. Wichtig sei auch, so Nordmeyer: „Immer offen bleiben und gut informiert sein.“ (zirka 7000 Anschläge)
Kontakt: Peter Dietrich, Freier Journalist, Tel. 07153/894 07 15, peter.dietrich@journalist-pd.de