„Wir haben Auschwitz nur besucht“

Ein Reisebericht

© Knut Mueller

Es wird erzählt, dass einst eine Reisegruppe frommer Christen dem Rabbi erzählte, sie seien in Auschwitz gewesen. Er schaute sich die Reisenden lange an und sagte dann: „Nein. Ihr wart nicht in Auschwitz. Ihr habt Auschwitz nur besucht.“

Es ist ein himmelweiter Unterschied. Ob man „in Auschwitz“ war. Oder nur zu Besuch dort war. Die Lager besucht hat. Aber ansonsten gut versorgt war, genug zu essen hatte, ein Bett und: die Freiheit.

Auf der Akademiereise im März dieses Jahres haben wir im Gedenken an die Deportation der Sinti und Roma aus Württemberg und Baden am 15. März 1943 Auschwitz besucht. Wir, das war eine Gruppe von Angehörigen der Sinti-Minderheit und der Mehrheitsgesellschaft. Aber Auschwitz ist und bleibt ein Reiseziel, das man nicht einfach mal eben so besucht.

Denn es ist der Ort, an dem die menschenverachtende Maschinerie des nationalsozialistischen Völkermordes ein Gesicht bekommt. Ein Nicht-Ort, der an die „Hölle auf Erden“ erinnert.

„Als sie das Lager betrat, wog sie 75 Kg, ein halbes Jahr später 25“, so eine der vielen Bemerkungen von Bòzana, die unsere Gruppe durch das Stammlager Auschwitz führt. Eine ihrer vielen Geschichten, die den Schrecken, der hier herrschte, aufscheinen lässt. Einem Menschen Namen und Geschichte gibt inmitten der Reihe kalter Unterkünfte aus Ziegelsteinen, der „Blöcke“. Hier wurden die Menschen verwahrt. In einem Block befinden sich im feuchten Keller die Steh- und Dunkelzellen für die Einzelhaft, daneben die Folterkammern und der Raum des Standgerichtes. Im Innenhof wurden die Verurteilten an die Wand gestellt und erschossen. Im Block gegenüber starben die Frauen an den Folgen grausiger medizinischer Experimente.

Es ist der zweite Tag unserer Gedenkreise nach Oświęcim/Auschwitz. Vier Stunden werden wir durch das Lager geführt, das wir durch das Tor mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“ betreten – wie Hundertausende zur Zeit des Naziterrors und doch ganz anders. Denn wir waren hier nur zu Besuch.

Gut, dass wir diesen Tag im jüdischen Zentrum des polnischen Landstädtchens Oświęcim begonnen haben, uns die alte Synagoge angeschaut haben und durch die Stadt spaziert sind. Auch hier wirft der Schrecken des Nationalsozialismus seine Schatten auf die Geschichte, und doch ist hier quirliges Leben und Erinnerung an das einst glückliche Leben von polnischen, jüdischen Menschen, auch von Sinti und Roma. Oświęcim – es ist für uns eine langsame Annäherung an das Unsagbare von Auschwitz.

Den folgenden Tag beginnen wir im polnischen Roma Zentrum. Wir lassen uns von der Geschichte und der Gegenwart der Roma in dieser Gegend erzählen. Erst danach besuchen wir das zweite Lager. Auschwitz-Birkenau. Wir gehen durch das Backsteintor zur berüchtigten Rampe von Birkenau. Hier wurden die Menschen selektiert. Für die einen ging es zur mörderischen Zwangsarbeit. Die anderen wurden direkt in die Gaskammern getrieben. Auch hier stand einst Baracke an Baracke. Übriggeblieben sind nur die Kamine. Wie Mahnmale stehen sie in diesem riesigen Gelände. Ein gespenstischer Ort. Gott-verlassen. Das Ausmaß des Grauens von Ferne vorstellbar.

In Birkenau besuchen wir auch das sogenannte „Zigeuner-Lager“; an den Tod der Sinti und Roma erinnert ein Mahnmal, an dem wir für eine kleine Gedenkfeier innehalten. Madleine und Armani, die hier Angehörige verloren haben, entzünden Kerzen, zitieren aus dem Gedicht der Romni Ceija Stoika, die selbst Jahre im Konzentrationslager verbrachte: „… Auschwitz ist mein Mantel. Bergen-Belsen ist mein Kleid. und Ravensbrück mein Unterhemd …“
Einen letzten Tag verbringen wir in der wunderbaren Stadt Krakau. In deren Altstadt herrscht ein buntes Treiben und im alten jüdischen Stadtteil Kazimierz. Hier können sich die Eindrücke der letzten Tage etwas setzen – damit wir nicht nur mit den Bildern des Todes zurückkehren von unserem Besuch in Auschwitz.

Weitere Infos zur Geschichte der Lager Auschwitz und Auschwitz-Birkenau...

Der Theologe Wolfgang Mayer-Ernst ist seit 2014 Studienleiter für den Themenbereich „Gesellschaft, Politik, Staat“ an der Evangelischen Akademie Bad Boll. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Politik und Recht.

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