Im Spätherbst 2020 darüber nachzudenken, was uns zusammenhält, das bedeutet auch, sich nicht ausschließlich auf die Gefahren der Corona-Pandemie oder die Skrupellosigkeit eines US-Präsidenten zu besinnen. Sondern inmitten solcher Gefahren ein Licht zu sein für alle, die Wege des Miteinanders und der menschlichen Solidarität gehen wollen. Und daher erinnere ich und besinne mich auf die Menschenrechte als einer tragfähigen globalen Leitidee des Zusammenhalts. Hier leuchten die Sterne Europas!
Und ich spreche als Wirtschafts- und Sozialpfarrer auch von zwei konkreten Beispielen deutscher und europäischer Menschenrechtspolitik. Ich habe dabei als mein inneres Bild für eine Veränderung zum Guten die biblische Geschichte der Befreiung aus der Sklaverei vor Augen. Denn es ist sehr gut, wenn Menschen aus einer Situation der Ausbeutung und der Entwürdigung herauskommen. Was läge in Zeiten einer Pandemie auch näher als darauf zu achten, wie menschliches Leben geschützt und gefördert werden kann.
Was hält uns zusammen und was trennt?
Ein rücksichtsloses Verhalten der Stärkeren gegenüber den Schwächeren führt uns auseinander und widerspricht dem biblischen Impuls, der Gerechtigkeit nachzujagen. Die Aufkündigung der Solidarität der Starken gegenüber den Schwachen zerstört auf Dauer jedes soziale Netzwerk. Es darf keinem Menschen verwehrt werden, das Nötige zum Leben zu haben. Und dazu gehört auf alle Fälle das Recht darauf, Rechte zu haben, wie es die Philosophin Hannah Arendt einmal formuliert hat. Was sie hier zum Ausdruck bringt, das ist der Grundgedanke der Menschenrechte.
Welchen Grund gibt es, dass wir als Seelsorger im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) uns für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und unserem europäischen und globalen Kontext einsetzen? Wir verstehen uns als evangelische Stimme in der Arbeitswelt. Und wir bringen uns in den demokratischen Diskurs ein. Ausgangspunkt ist meist die Wahrnehmung eines Mangels an Rechten oder die Verletzung menschlicher Würde und ökologischer Lebensgrundlagen.
Ich hoffe sehr, dass die deutsche Bundesregierung noch vor Weihnachten ein Gesetz für menschenrechtliche Sorgfalt in Wertschöpfungs- und Lieferketten für Unternehmen auf den Weg bringt.
Hier muss ein moralischer Ruck durch den deutschen Bundestag gehen, weil wir in Sachen Globalisierung nicht die Augen verschließen dürfen, vor den negativen Folgen unmoralischen Handelns. Die aktuelle Corona-Krise darf kein Vorwand für gesetzgeberische Nichttätigkeit sein. Es ist seit Jahrzehnten überfällig, die globale Welt im Zusammenhang zu sehen. Die Menschenrechte sind nicht nur Verpflichtung für die Staaten, sondern auch für die Wirtschaftsunternehmen. Die Welt ist ein globales Dorf und alle Dorfbewohner haben gleiche Rechte und Stärkeren ist es nicht erlaubt, Schwächere auszubeuten. Das muss ein moralischer Imperativ sein!
Im Mai gab die Bundesregierung das Versprechen, man dürfe nicht länger zusehen, wie deutsche Fleischbetriebe Menschen aus Mittel- und Osteuropa ausbeuten. Es wurde versprochen, das Geflecht von Subunternehmen mit dem Missbrauch von Werkverträgen zu stoppen. Im Januar 2021 soll das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz in Kraft treten. Die abschließende Lesung des Gesetzes war für vergangene Woche geplant und wurde plötzlich von der Tagesordnung genommen. Hier dürfen Lobbyinteressen eine notwendige gesetzliche Regelung nicht unterlaufen können. Die Öffentlichkeit wartet auf eine Regelung für gute Arbeit in deutschen Schlachthöfen.
Für Verantwortliche in Unternehmen stellt sich die Frage: Was tut mein Unternehmen für die globale Lebens- und Arbeitswelt? Wo schaden wir möglicherweise Mensch und Natur? Ein verantwortliches Management braucht nicht nur moralische Empathie, sondern auch Normen. Dazu gehören betriebliche Verfahren zur Implementierung menschenrechtlicher Sorgfalt, ein Code of Conduct und Compliance-Vorgaben. Fairness, Integrität und menschliche Solidarität dürfen keine Fremdwörter sein. Es gehört in jedem Fall der unbedingte Respekt vor dem Leben anderer Menschen dazu. Du sollst anderen Menschen keinen Schaden zufügen! Das wäre eine gute verbindliche Regel für das Management.
In diesen Herbsttagen einer noch ungeklärten amerikanischen Präsidentschaft füge ich an: Es muss diese Regel auch für das politische Führungspersonal gelten. Du sollst anderen Menschen keinen Schaden zufügen! Es ist nicht akzeptabel, wenn Führungskräfte lügen und betrügen, Menschen ausbeuten und Umsätze und Gewinne realisieren wollen, ohne ihr moralisches Gewissen und gesetzliche Normen zu beachten. Menschen, die sich um das Gute bemühen, halten uns zusammen! Das sind die Gesegneten Gottes!
Karl-Ulrich Gscheidle ist Wirtschafts- und Sozialpfarrer beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) in Reutlingen. Der KDA ist ein Fachdienst der Evangelischen Akademie Bad Boll in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.