Auch dieses Jahr führte eine Exkursion der Evangelischen Akademie Bad Boll in Kooperation mit dem KDA Ulm ins Württembergische Allgäu, wo sich besonders gut die Verbindung zwischen Kulturlandschaft, Handwerk, Landwirtschaft, Tourismus und Regionalentwicklung zeigt. Artenreichtum und eine kleinteilige, überwiegend bäuerliche Landwirtschaft ergänzen einander und begeistern die Besucher*innen. Auch die Gruppe der Akademie erlebte dieses Zusammenspiel und traf vor Ort ausgewählte Protagonist*innen, die ökologische und soziale Nachhaltigkeit wirtschaftlich tragfähig verknüpfen. Ziel war die Adelegg, eine Berglandschaft nördlich der Allgäuer Alpen, auch „das Dunkle Herz des Allgäus“ genannt. Im Haus Tanne und im Glasmacherdorf Schmidsfelden erläuterten der Biologe Franz Renner und der Geograph Prof. Dr. Manfred Thierer historische Zusammenhänge und die Grundlagen für die Glasherstellung in der Adelegg.
Als geologischer Sonderfall blickt die Adelegg auf eine wechselvolle Geschichte zurück: Das stark bewaldete Mittelgebirgsmassiv mit engen Tälern und steilen Hängen wurde erst spät, nach dem Dreißigjährigen Krieg, mittels Glashütten und Bauernhöfen besiedelt. Eine kleinteilige Landwirtschaft und der Holzeinschlag sicherten den Familien insbesondere im Kreuzthal auch nach dem Rückgang der Glasmacherei ein Einkommen. Im 19. Jahrhundert kamen durch die Sommerfrischler noch Erträge durch den Fremdenverkehr hinzu, nach dem Zweiten Weltkrieg außerdem durch drei Kindererholungsheime. Doch in den 1960ern brach der Tourismus ein und das bereits Ende des 19. Jahrhunderts einsetzende Höfesterben ging rasant weiter, Wiesen und Weiden wuchsen zu oder wurden aufgeforstet. Durch diesen Verlust des Grünlandes und die damit einhergehende „Schwarzwaldisierung“ verlor die Adelegg an touristischer Attraktivität.
Erst zu Beginn der 2000er-Jahre kam es zu einer Revitalisierung der Region durch die Initiative der Bewohner*innen selbst, die den Adelegg-Verein „zur Förderung der landschaftlichen, ökologischen und regionalen Entwicklung“ gründeten. Der „Glasmacherweg“ entstand als beliebter Wanderweg und soll in Kürze erneuert und ergänzt werden, ganz im anhaltenden Wandertrend und dem derzeitigen Aufschwung der Naherholung, der wohl auch der Corona-Pandemie geschuldet ist.
Aus dem Adelegg-Verein heraus gründete sich die Kreuzthaler Bürgerstiftung KulturLandschaft Adelegg, die insbesondere die Offenhaltung der Landschaft verfolgt. Dazu hat die Stiftung die Beweidung der Steillagen mit Milchziegen der Rasse Bunte Deutsche Edelziege umgesetzt. Im Gründungsprozess wurde ein Grundstück erworben und ein Stallgebäude errichtet. Die Stiftung verpachtet den Hof an Oliver und Leona Post, die den Hof als selbstständige Landwirte auf eigenes Unternehmerrisiko bewirtschaften. Da das Grünland aber nicht nur vor Verbuschung geschützt, sondern auch ökologisch aufgewertet werden soll, wirtschaften die Betreiber unter naturschutzfachlicher Begleitung und den Auflagen des Demeter-Verbandes. Weitere durch die Stiftung vorgegebene Auflagen sind die Mahd, d.h. das Mähen, ausschließlich mit Doppelmesser-Mähwerk, die Beschränkung auf Festmist und die Übernahme aller Flächen durch den Ziegenhof, die im Projektgebiet aus der Bewirtschaftung fallen. Das Betreiber-Ehepaar ist derzeit auf der Suche nach geeigneten Nachfolgern.
Oliver Post erläuterte sehr sachkundig die Grundzüge der Ziegenhaltung im Kreuzthal: Von den 60 Milchziegen, die im Durchschnitt 1,7 Kitze pro Ziege pro Jahr bekommen, werden etwa 20 Prozent remontiert, also auch als Milchziegen genutzt. Das Fleisch der übrigen Ziegen wird schließlich selbst vermarktet. Dazu haben sich die Posts den TischGenossen angeschlossen, von denen zwei weitere Höfe bei der Exkursion 2021 besucht wurden.
Aus Tierschutzgründen werden die Kitze erst nach acht Wochen, einer vergleichsweise langen Zeit, die sie bei ihren Müttern verbringen dürfen, abgesetzt und auf den weiter entfernten Weiden aufgezogen. Von der jährlichen Milchmenge von 650 Litern trinken die Kitze 150 Liter, so dass pro Ziege 500 Liter Milch zur Verarbeitung in der hofeigenen Käserei zur Verfügung stehen. Da die Bunten Deutschen Edelziegen bei den sehr mageren, eiweißarmen Wiesen eine geringere Milchleistung aufweisen, soll der ohnehin schon geringe Einsatz von Kraftfutter (lediglich Gerste in der Laktation) durch Einkreuzung der anspruchsloseren Thüringer Waldziege weiter reduziert werden.
Oliver Post beschreibt den Naturschutz als „Mehraufwand, der sich lohnen muss“. Der Aufwand ist enorm hoch und kann durch die einschlägigen Förderungen kaum angemessen ausgeglichen werden. Beispielsweise wachsen auf den mageren, extensiv bewirtschafteten Flächen Arnika-Pflanzen, die aufwendig ausgezäunt werden müssen, um sie vor dem Verbiss durch die Ziegen zu schützen. Teilweise werden ebenso Brombeere, Rose, Schlehe und Weißdorn vor den Ziegen durch Zäune geschützt, da auch sie als Lebensräume für Vögel, wie insbesondere den Neuntöter, sowie Schmetterlinge und andere Insekten von Bedeutung sind. Im Sinne der Offenhaltung sollen diese Pflanzen zwar in Schach gehalten, aber nicht vollständig eliminiert werden. Hier zeigt sich hervorragend der ökologische Mehrwert durch die im Kreuzthal betriebene Mischbeweidung von Milchziegen und Rindern im Pensionsbetrieb sowie ein aufwendiges und anspruchsvolles Mäh- und Beweidungsmanagement. Oliver Post schilderte anschaulich, wie durch jahrelange Beobachtung, sorgfältige Dokumentation und viel Erfahrung dieses sensible Gleichgewicht hergestellt und erhalten werden kann.
Herzstück des Ziegenhofes ist der Stall mit Heubergehalle, der bewusst offen gebaut wurde. Hier sind die Ziegen zum einen in gewissem Maß Außenklimareizen ausgesetzt, zum anderen erlaubt dies ganz ausdrücklich Transparenz bei Interessierten und Vorbeiwandernden. Der Stall gliedert sich in die Bereiche
- überdachter Laufhof,
- Liegebereich,
- Klettermöglichkeiten,
- Rückzugsbereich unter dem aufklappbaren und höhenverstellbaren Futtertisch sowie
- variable Boxen zur Prägung bei neugeborenen Kitzen, als Kitzschlupf bzw. als Krankenbucht
und wurde unter ökologischen Gesichtspunkten
- nur mit heimischen Hölzern,
- wenig Beton und
- mit Windfängen aus Sackleinen zur Vermeidung von Mikroplastik
erbaut.
Durch die Nutzung einer Quelle und eine innovative Belüftung kann im Stall und bei der Heutrocknung außerdem der Stromverbrauch auf ein Minimum reduziert werden.
Auch im Bereich der Käserei setzen Leona und Oliver Post auf ökologische und sinnvolle Lösungen, auch wenn dies einen höheren Aufwand bedeutet:
- Melken in Eimer ohne Milchrohrpumpen, zum Erhalt der Milchmoleküle und damit zur Erreichung eines besseren Geschmacks,
- Käserei mit Lehmverkleidung, die die anfallende Feuchtigkeit bindet und langsam wieder abgibt, so dass auf die sonst übliche Chlorschäumung verzichtet werden kann.
Sehr beeindruckt vom Herzblut und diesen Innovationen im Kreuzthal wünscht die Exkursionsgruppe Oliver und Leona Post alles Gute und der Bürgerstiftung viel Erfolg bei der Suche nach einem Nachfolger für den Ziegenhof.
Zur Info: Die nächste Exkursion ins Allgäu zu den Themen Landwirtschaft, Lebensmittel und Biodiversität findet am 7. Oktober 2023 statt.
(c) Fotos: Oliver und Leona Post