Gerechte Mobilität für Migrantinnen und Migranten
1. Migration und Mobilität in Baden-Württemberg
Wie kann Mobilität nicht nur umweltverträglich sein, sondern allen Menschen gleichermaßen offenstehen? Mit dieser grundsätzlichen Frage beschäftigt sich die Tagungsreihe „Mobilitätswende gerecht gestalten“, zu der das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Bad Boll jährlich nach Bad Boll einlädt.
Gerechter Zugang zur Mobilität setzt voraus, dass die Perspektiven unterschiedlicher Personengruppen gleichermaßen gehört und berücksichtigt werden. Seit der Auftaktveranstaltung zur Tagungsreihe „Mobilitätswende gerecht gestalten“ steht deshalb jedes Jahr eine andere Zielgruppe im Fokus: Kinder, Jugendliche und Familien im Jahr 2022, Menschen mit Behinderung sowie Seniorinnen und Senioren im letzten Jahr und dieses Jahr Migrantinnen und Migranten. Ziel der Tagungsreihe ist es, konkrete Ideen für eine gerechte Mobilitätswende zu entwickeln – im Dialog untereinander und im Gespräch mit Expertinnen und Experten aus Politik, Verwaltung und Verkehrsbetrieben.
Baden-Württemberg ist ein sehr diverses Bundesland mit hohem Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund: Laut des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg verfügen rund ein Drittel der Bevölkerung in Baden-Württemberg über einen Migrationshintergrund. Davon sind wiederum ca. zwei Drittel nicht in Deutschland geboren, sondern selbst zugewandert. Der Anteil von zugewanderten Menschen in Baden-Württemberg ist also sehr hoch, nämlich ca. 20 %. Jeder Fünfte und jede Fünfte in Baden-Württemberg ist also nicht in Deutschland geboren. Haben Menschen mit Migrationshintergrund besondere Mobilitätsbedürfnisse, die stärker berücksichtigt werden sollten?
2. Perspektiven auf migrantische Mobilität
Mobilität, soziale Teilhabe und effektiver Klimaschutz sind eng verknüpft. Das betone Staatssekretärin Elke Zimmer in ihrer Eröffnungsrede. Nur wenn Mobilitätsoptionen auch gerecht verteilt sind, könnten Menschen gleichermaßen am sozialen Leben teilhaben und umwelt- sowie ressourcenschonend mobil sein.
Das Privileg, sich über Ländergrenzen hinweg frei bewegen zu können, hob Frau Zimmer im Kontext der Wahlen zum Europäischen Parlament besonders hervor. Dennoch müsse man über individuelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Ursachen für ungleichen Zugang zu Mobilität nachdenken und Menschen entsprechende Mobilitätsangebote machen.
Wie können solche Mobilitätsangebote gestalten werden und welche Herausforderungen müssen Land, Kommunen und migrantische Verbände meistern? Im Rahmen einer Podiumsdiskussion suchte die Staatsekretärin dazu anschließend das Gespräch vier Expertinnen und Experten.
Migrantinnen und Migranten sind keine homogene Gruppe. Das hob Argyri Paraschaki-Schauer, Geschäftsführerin des Landesverbands der kommunalen Migrantenvertretungen Baden-Württemberg, hervor und benannte damit schon zu Beginn der Veranstaltung einen zentralen Diskussionspunkt. Auch im weiteren Verlauf der Tagung kam immer wieder die Frage auf, ob eine solche Heterogenität von Migrantinnen und Migranten die Identifizierung zielgerichteter Mobilitätsangebote verhindert. Für viele Anliegen würde eine Konzentration der Diskussion auf Geflüchtete helfen können, je länger Menschen in Deutschland seinen desto ähnlicher würden Mobilitätsmuster und Herausforderungen.
Eine prozessualen Vorschlag dazu machte dann auch direkt Frau Paraschaki-Schauer: Migrantinnen und Migranten frühzeitig in Entscheidungsprozesse einbeziehen, um deren Bedürfnisse und Interessen von Anfang an zu berücksichtigen. Dr. Marco Lang, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg e.V. charakterisierte Mobilität als Teil der Daseinsvorsorge. Auch sei er dankbar für den Begriff des Migrationshintergrunds. Er lenkte den Blick darauf, dass insbesondere neuankommende Personen große Herausforderungen mit den bestehenden Verkehrsformen haben könnten und zugleich schwer an Informationen kämen. Diese Menschen sollten besser erreicht, abgeholt und beteiligt werden. Dafür seien nicht einzelne Leuchtturmprojekte, sondern umfangreiche, verlässliche Mobilitätsangebote entscheidend.
Dabei stelle sich aber, so Staatsekretärin Zimmer, die Frage, wann die Kategorie „Migrationshintergrund“ rassistisch bzw. diskriminierend sei. Auch diese Frage wurde im Laufe der Veranstaltung mehrfach aufgeworfen und war Ausgangspunkt engagierter Debatten: Einerseits muss zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und solchen ohne Migrationshintergrund unterschieden werden, um die Besonderheiten (ob besondere Bedürfnisse oder besondere Stärken) der jeweiligen Gruppe (statistisch) fassbar zu machen. Andererseits verstärkt eine solche (neutrale) Unterscheidung möglicherweise auch unmoralische (soziale) Diskriminierung. Eine solche Diskriminierung beginne schon mit der Sprache und so sensibilisierte Sylvia Holzhäuer-Ruprecht vom Landesverband (post-)migrantischer Organisationen Baden-Württemberg e. V. für deren sorgsame Verwendung: Migrantinnen und Migranten sollten nicht (bloß) an gerechter Mobilität und an einer gerechten Gesellschaft teilhaben – sie sollten Teil dieser Mobilität und Gesellschaft sein.
Das Mobilitätsverhalten von Migrantinnen und Migranten ist schlecht erforscht. Dies gelte, so Dr. Janina Welsch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, zumindest für den deutschsprachigen Raum: ein Großteil der englischsprachigen Literatur zum Mobilitätsverhalten von Migrantinnen und Migranten bezöge sich auf englischsprachige Länder wie die USA oder Kanada. Dabei müsse sich die Diversität in einer Gesellschaft auch in der Mobilitätforschung abbilden. Grundsätzlich müsse die Mehrheitsgesellschaft, so Dr. Welsch, vom Wert nachhaltiger Mobilität überzeugt werden – und dabei seinen Push-Faktoren (wie teure Parkplätze) am wirksamsten. Staatssekretärin Zimmer betonte ergänzend den Wert „weicher Faktoren“, um Menschen mit Migrationshintergrund für nachhaltige Mobilität zu begeistern. So könne beispielsweise der Fußverkehr gestärkt werden und darüber praktische Verbesserungen gerade für Menschen ohne eigenes Auto oder Führerschein erreicht werden.
Gerechte Mobilität braucht zielgruppenspezifische Maßnahmen. Dafür sprach sich Dr. Susanne Nusser, Stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Städtetag Baden-Württemberg, aus. Dabei sehe sie eine Bringschuld bei den Städten. Es gebe noch Probleme, beispielsweise Sprachbarrieren, um Menschen mit Migrationshintergrund adäquat zu informieren oder gar zu involvieren. Laut Argyri Paraschaki-Schauer mangle es in Städten teils an einfachen Dingen, wie Sitzgelegenheiten an Haltestellen des ÖPNV. Frau Nusser formulierte griffig: „Die Basics müssen stimmen!“. Damit war ein dritter, wichtiger Diskussionsstrang der Tagung benannt: Welche „Basics“ braucht es für eine gerechte Mobilitätswende für alle und damit auch für Migrantinnen und Migranten? Hierzu zählten die Teilnehmenden einen zuverlässigen, sicheren und finanziell erschwinglichen ÖPNV. Einig waren sich die Teilnehmenden, dass spezifisch gerade für Migrantinnen und Migranten die einfache und vor allem mehrsprachige Verfügbarkeit von Informationen eine solche Grundlage sei.
3. Migrantische Mobilität beispielshaft verbessern
Es gibt bereits hervorragende Projekte, um Migrantinnen und Migranten mobiler zu machen. Dies demonstrierten Judith Häring, Gregor Falter und Alina Dajnowicz in zwei kurzen Impulsvorträgen. Judith Häring und Gregor Falter stellten Bike Bridge e.V. vor. Dieser Verein schafft Begegnungsräume für Migrantinnen, indem beispielsweise Fahrradkurse für Frauen mit Migrationshintergrund angeboten werden. In vielen Herkunftsländern ist es Frauen verboten, mit dem Fahrrad zu fahren. In Deutschland hingegen bietet das Fahrrad eine niederschwellige Möglichkeit, mobil zu sein. Für diese Arbeit ist Bike Bridge e.V. mehrfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Deutschen Integrationspreis.
Ein ähnliches Ziel verfolgt das Projekt "AUX – Augsburger Exkursionen“, welches Migrantinnen und Migranten die Stadt Augsburg und deren vielfältige (Mobilitäts)Angebote spielerisch näherbringt, wie die Projektverantwortliche Alina Dajnowicz näher erläuterte. Diese Stärkung des interkulturellen Miteinanders unterstützt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) finanziell – und hat AUX auch mit einem Preis ausgezeichnet.
4. Gemeinsames Arbeiten an gerechter Mobilität
Konkrete Ideen zur Verbesserung migrantischer Mobilität erarbeiteten die Teilnehmenden in vier Workshops. Je ein Thema stand pro Workshop im Fokus: Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Akteuren, Zugang zum Verkehrssystem, Nachhaltige Mobilität richtig vermitteln sowie Mobilität und Arbeitswelt. Dabei orientierten sich die Teilnehmenden an drei Fragen: Welche Probleme und Schwierigkeiten erleben wir heute? Was können migrantische Verbände und Organisationen konkret tun? Wie können Politik und Verwaltung konkret unterstützen? Im Folgenden sind wesentliche Diskussionen der Workshops zusammengefasst.
4.1 Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Akteuren
Eine gelungene Kooperation zwischen den Akteuren setzt die Verfügbarkeit von Informationen voraus. So eine zentrale Erkenntnis aus dem zugeordneten Workshop. Dort monierten die Teilnehmenden: Oft bestehe zu wenig Wissen über relevante migrantische Verbände und Netzwerke in Baden-Württemberg.
Zudem seien diese Verbände und Vertretungen oft nur schwer erreich- bzw. kontaktierbar und hätten manchmal andere Kommunikationsgewohnheiten.
Doch auch die Verwaltung kommuniziere nicht effektiv: Innerhalb der Verwaltung existierten zu viele unterschiedliche Interessen, zudem seien die Bereiche Mobilität und Migration getrennt, was eine effektive Verbindung und Vernetzung erschwere.
Um diese Barrieren zu überwinden, könnten migrantische Verbände ihre Mitglieder motivieren, an (öffentlichen) Veranstaltungen teilzunehmen und (dort) gezielt Informationen bereitstellen. Politik und Verwaltung sollten vor allem Apps und Plattformen zur Verfügung stellen, um Information an Menschen mit Migrationshintergrund weiterzugeben.
Angebote im Bereich migrantischer Mobilität könnten in Integrationskurse aufgenommen werden, über Jobcenter verteilt oder bereits an Schule thematisiert werden. Diese Ergebnisse deckten sich mit vielen Punkten, die im Workshop „Zugang zum Verkehrssystem“ erarbeitet wurden.
In einem Vortrag am zweiten Tag der Veranstaltung betont auch Helene Khuen-Belasi, Mitglied des Integrationsausschusses Karlsruhe und Mitglied des Vorstands des Landesverbandes kommunaler Landesvertretungen Baden Württemberg (LAKA BW), wie wichtig die Verfügbarkeit von Informationen für Migrantinnen und Migranten ist – und erinnert an ihre erste Straßenbahnfahrt mit Migrantinnen und Migranten, bei denen sie kein korrektes Ticket für die Gruppe lösen konnte, da das System an Tickets und Tarifen undurchschaubar war. Diese anekdotische Evidenz bestätigt die Eindrücke und Ideen des Workshops.
Am zweiten Veranstaltungstag ergänzte Sebastian Altemüller vom Grundsatzreferat Integration des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg eine prägnante Einschätzung der Workshopergebnisse. Er plädierte dafür Migrantinnen und Migranten besser in bestehende, politische Strukturen einzubinden. Dieses Plädoyer für bessere Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund unterstützte Sylvia Holzhäuer-Ruprecht. Trotzdem stand am Ende der Tagung die Frage im Raum, wie auch bei mehr direkter Partizipation zusätzliche und effektive Kommunikationsmöglichkeiten mit migrantischen Verbänden etabliert werden können.
4.2 Zugang zum Verkehrssystem
Gerechter Zugang zum Verkehrssystem setzt zuverlässigen und leicht verständlichen ÖPNV voraus. Einig waren sich die Teilnehmenden, dass ein guter ÖPNV zentral ist, um Migrantinnen und Migranten mobiler zu machen. Dies könne erreicht werden, indem die Taktung von Bussen erhöht und die Komplexität im Bereich der Tickets und Fahrpläne reduziert werde. Dazu könnten mehrsprachige Apps und die gezielte Verwendung standarisierter, leicht verständlicher Piktogramme beitragen.
Eine engagierte Debatte entbrannte zur Frage, ob es tatsächlich der Migrationshintergrund einer Person sei, der deren Mobilität einschränke. Hänge der Zugang zu Mobilität nicht vielmehr an der finanziellen Situation einer Person? Wie Sarah George, Junior Research Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), erklärte, sei der Migrationshintergrund aber tatsächlich ein Faktor für eingeschränkte Mobilität: Menschen mit Migrationshintergrund bewegten sich täglich weniger und hätten einen 5-10 % höheren Zeitaufwand für Wege für Begleitungen und Einkäufe in ihrem Alltag. Grund dafür sei nicht Fehlen des Autos, sondern beispielsweise die Qualität der Wohnlage. Neben klassischen Faktoren wie Einkommen, Bildungsstand, Alter und Erwerbstätigkeit bestimme so auch der Mobilitätshintergrund den Zugang zu Mobilität.
Damit konnten im Rahmen der Tagung zwei wichtige Erkenntnisse gewonnen werden: Einerseits sind viele Einschränkungen von Migrantinnen und Migranten in ihrer (alltäglichen) Mobilität identisch mit jenen anderer Gruppen (beispielsweise den Problemen, die armutsgefährdete Menschen oder die ländliche Bevölkerung in Bezug auf Mobilität haben), anderseits ist der Migrationshintergrund einer Person durchaus ein eigenständiger und einschränkender Faktor für gerechten Zugang zu Mobilität. In seiner Einschätzung wies Sebastian Altemüller allerdings darauf hin, sauber Migrantinnen und Migranten einerseits und Geflüchtete bzw. Neuzugewanderte andererseits zu unterscheiden. Damit benannte er einen der Diskussionsstränge der Tagung, nämlich die Frage nach der Heterogenität von Migrantinnen und Migranten und die Schwierigkeiten, die mit dieser Heterogenität für eine Untersuchung deren Mobilität verbunden sind.
4.3 Nachhaltige Mobilität richtig vermitteln
Nachhaltige Mobilität kann vielfältig vermittelt werden. Im Workshop „Nachhaltige Mobilität richtig vermitteln“ skizzierten die Teilnehmenden eine Reihe von Maßnahmen, um nachhaltige Mobilität effektiv zu vermitteln, dabei reichten die Vorschläge von „Tupperpartys“ mit Multiplikatoren, über themenspezifische Stadtrundgänge und mehrsprachige Videoproduktionen bis hin zu eigenen Lehrmaterialien oder sogar eigenen Studien. Dabei sei es wichtig, dass Teilnehmende bzw. Menschen mit Migrationshintergrund in die Konzeption dieser Angebote eingebunden würden und selbst Themen setzen könnten. Die Verstetigung vieler Projektstellen im Bereich der Vermittlung nachhaltiger Mobilität sei sehr wünschenswert. In seiner Einschätzung verwies Sebastian Altemüller auf die Vielfalt an bestehenden Möglichkeiten, nachhaltige Mobilität zu vermitteln. Viele dieser Möglichkeiten seien aber gar nicht bekannt. Zudem erschwere die Heterogenität der Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund auch die Vermittlung nachhaltiger Mobilität – Kindern müsse Nachhaltigkeit beispielsweise anders beigebracht werden als Erwachsenen.
4.4 Mobilität und Arbeitswelt
Mobilität ist entscheidend für den Zugang zur Arbeitswelt. Schlechte Wohnlagen, Rassismuserfahrungen im ÖPNV oder die schwierige Anerkennung von Führerscheinen schränkten die Mobilität von Migrantinnen und Migranten aktuell ein, so die Teilnehmenden des entsprechenden Workshops. Als Lösungsmöglichkeiten skizzierten sie Fahrradkurse, Bürgerbusse, mehr Jobtickets und günstigere Tickets bzw. Abo-modelle. Auch eine bessere Zusammenarbeit von Mobilitätsmanagern und Integrationsbeauftragten wurde gewünscht und darauf hingewiesen, migrantische Verbände nicht mit Erwartungen zu überfrachten. In diesem Sinn nahm Sebastian Altemüller in seiner Einschätzung auch die Arbeitgeber in die Pflicht: sie sollten sich ebenfalls darum bemühen, ihren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen einen guten Zugang zum Arbeitsplatz zu verschaffen. Abschließend verwies er auf praktische Fragen im Zusammenhang einiger Ideen der Teilnehmenden, wie mehrsprachige Apps, Flyer und andere Informationsangebote. Diese Angebote seien gut, vielfach bereits vorhanden, aber man müsse klären, wer diese Informationen erhalte, und in welchen Sprachen sie verfasst würden. Damit beendete er seine Einschätzung der Workshopergebnisse mit einem sehr konkreten Impuls.
5. Wege zu gerechter Mobilität für Migrantinnen und Migranten
Am Ende der Tagung sicherte Dr. Wolf Engelbach, Referatsleiter Grundsatz, Mobilitätskonzept, Europa im Verkehrsministerium Baden-Württemberg zentrale Ergebnisse und Handlungsempfehlungen. Die zentralen Handlungsansätze waren:
Im Aufgabenbereich des Sozialministeriums:
- Das Integrationsmanagement ausbauen, beispielsweise durch Weiterbildungen im Bereich der Mobilität für Integrationsbeauftragte (beispielsweise im Rahmen jährliche Pflichtschulungen)
- Konzepte nachhaltiger Mobilität (beispielsweise Carsharing) mehrsprachig und niederschwellig erklären
- Ämterübergreifende Zusammenarbeit in den Bereichen soziale Teilhabe und Mobilität stärken und ermöglichen
- Bereitstellung von Austauschplattform auf Landesebene bzw. Ausbau bereits bestehender Projekte in diesem Bereich
- Das Fachportal „aktivmobil BW“ sollte weitere Zielgruppen in den Blick nehmen
Im Aufgabenbereich des Verkehrsministeriums:
- Integreat-App um spezifische Informationen zu migrantischer Mobilität erweitern und dazu vielleicht eine „Digitalfabrik“ einrichten, in der Kommunen Texte zur migrantischen Mobilität selbst verfassen können
Das Sozialministerium, vertreten durch Herrn Altemüller, nahm den Wunsch nach gezielter Informationsvermittlung an Migrantinnen und Migranten über mehrsprachige und mit standardisierten Piktogrammen versehenen Flyern etc. auf. Auch Informationen über Angebote und Konzepte nachhaltiger Mobilität könnten zukünftig mehrsprachig erstellt werden.
Ergebnisse der Tagung, ob konkrete Ideen oder allgemeine Sensibilisierung für die Bedürfnisse von Migrantinnen und Migranten, sollten im Integrationsmanagement besser verankert werden, beispielsweise in Form von Weiterbildungen speziell zu migrantischer Mobilität.
Auch die Idee einer Austauschplattform auf Landesebene wurde als Ergebnis der Tagung festgehalten. Tatsächlich erarbeitet das Sozialministerium aktuell ein Informations- und Austauschportal „Integrationsbeauftragte stärken und vernetzen“, welches bereits zwei erfolgreiche Formate umfasst, die den Austausch zwischen Integrationsbeauftragten fördern.
Als Anstoß für weitere Projekte und Planungen nahm das Sozialministerium den Wunsch nach ämterübergreifender Zusammenarbeit in den Bereichen Teilhabe und Mobilität auf. Auch hier sind mit der „AG Sozialplanung“ und dem „Netzwerk Integration Baden-Württemberg“ bereits etablierte Formate vorhanden, auf denen aufgebaut werden kann.
Ein weiteres Format, das durch die Ergebnisse der Tagung möglicherweise bereichert werden kann, ist „aktivmobil BW“. Dieses Fachportal für alle Formen der selbstaktiven Mobilität sollte Migrantinnen und Migranten möglicherweise als neue Zielgruppe in den Blick nehmen.
Das Verkehrsministerium bot an, Kontakt zum Entwicklungs- und Konzeptionsteam der Integreat-App aufzunehmen, um diesem die Tagungsergebnisse zu präsentieren und Informationen zur Mobilität in die App einzubringen (Integreat dient als Open Source Mobile App der effektiven Vermittlung von Informationen zwischen Migrantinnen und Migranten und den zuständigen Kommunen). Diese Kontaktaufnahme ist im Juni 2024 erfolgt und ermöglicht die weitere Zusammenarbeit der Tagungsteilnehmer und des Landes Baden-Württemberg zu migrantischer Mobilität.
6. Migrantische Mobilität gerecht gestalten
Im Rahmen der Tagung „Mobilitätswende gerecht gestalten“ konnten somit wertvolle praktische Ideen zu besseren, gerechteren Gestaltung der Mobilitätswende für Migrantinnen und Migranten entwickelt werden. Gleichzeitig eröffnete die Veranstaltung einen Raum für vielfältige, kontroverse und engagierte Diskussionen zu grundsätzlichen Fragen: Wie sinnvoll ist die Verwendung der Kategorie „Migrationshintergrund“ bei der Betrachtung individueller Mobilität? Erschwert die Heterogenität von Migrantinnen und Migranten eine Verbesserung deren Mobilität und sozialer Teilhabe?
Dabei konnten Antworten zumindest skizziert werden: Migrantinnen und Migranten sind schon durch ihren Migrationshintergrund in Bezug auf ihre Alltagsmobilität benachteiligt, weil sie für alltägliche Wege im Schnitt mehr Zeit brauchen. Dennoch sind viele der Bedürfnisse, Probleme, Herausforderungen und Wünsche von Migrantinnen und Migranten in Bezug auf ihre Mobilität mit jenen anderer Gruppen identisch – und lassen sich dadurch mit bereits bekannten Lösungsansätzen, wie der Verbesserung des ÖPNV, beheben bzw. verwirklichen. Andererseits sensibilisierte die Tagung auch für die besonderen Bedürfnisse von Migrantinnen und Migranten, beispielsweise nach einfachen, mehrsprachigen und gut verständlichen Informationsmaterialien.
Im gemeinsamen Gespräch lieferte die Tagung „Mobilitätswende gerecht gestalten“ damit vielerlei Antworten auf die Ausgangsfrage: Wie kann Mobilität nicht nur umweltverträglich sein, sondern allen Menschen gleichermaßen offenstehen? Gerechte Mobilität für Migrantinnen und Migranten erfordert deren ausreichende Partizipation (in politischen Entscheidungs- und Planungsprozessen), die Sensibilisierung für deren Belange, gelungene Kommunikation zwischen den relevanten Akteuren, einen sicheren, diskriminierungsfreien und zuverlässigen ÖPNV und, manchmal, auch ganz einfache Lösungen wie mehrsprachige Informationsangebote.
Von Jonas Franzen, Studienleiter mit dem Arbeitsschwerpunkt Wirtschaftsethik.
Die Tagung "Mobilitätswende gerecht gestalten" am 13./14. Mai 2024 in der Evangelischen Tagungsstätte Bad Boll war eine Kooperation mit dem "Ministerium für Verkehr Baden Württemberg".