Am 19. Juli 2024 veranstaltete Studienleiterin Dr. Kerstin Renz ein Kunstgespräch in der Villa Vopelius, an dem ich gemeinsam mit meiner Frau teilgenommen habe. Im Fokus stand die abstrakte Malerei von Erdmut Bramke, von der vier großformatige Arbeiten in der Villa zu sehen sind. Die Kunsthistorikerin Dr. Susanne Grötz, die das dreibändige Werkverzeichnis der Künstlerin erstellte, war als Gesprächsgast eingeladen und gab einen erhellenden Einblick in das Oeuvre und in die Bedeutung der Künstlerin.
Unter Edition Axel Menges GmbH findet sich im Internet folgende Würdigung: „Erdmut Bramke, 1940 in Kiel geboren und 2002 in Stuttgart gestoben, gehört zu den wenigen Künstlern des 20. Jahrhunderts, die konsequent eine rein malerische Position vertreten haben. Sie arbeitete nur mit Farbe und Strukturen. Die Verwendung von Acrylfarben ermöglichte ihr einmalige Farbkonstellationen. Immer wieder überraschte sie mit einem ungewöhnlichen Farbreichtum und neuen Farbnuancen. In ihrer Formensprache stellte sie das Fließende in den Vordergrund, durchsetzte Farbschattierungen mit linearen Strukturen, experimentierte mit der Tauchtechnik und verschiedenen Materialien. Ihre Werke sind in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten, darunter in der Staatsgalerie Stuttgart, im Kunstmuseum Stuttgart, in der Sammlung des Robert-Bosch-Krankenhauses in Stuttgart, im Ulmer Museum, im Kunstmuseum Bonn, in der Bundeskunsthalle Bonn und in der Kunsthalle Kiel.“
Beim Kunstgespräch ergab sich auch die Frage: Wie kamen eigentlich die vier Bilder zur Evangelischen Akademie Bad Boll? Seinerzeit war ich der für Kunst in der Akademie verantwortliche Studienleiter und erzählte die „Wundergeschichte – Erdmut Bramke in Bad Boll“ und entmythologisierte diese gleichzeitig:
Der alljährlich stattfindende „Boller Bußtag der Künste“ stand 2002 unter dem Thema: „Der Blick nach innen – Ästhetik auf evangelisch?“ Zur begleitenden Ausstellung war (neben Immanuel Preuß und Annette Rothfuß) auch die Stuttgarter Malerin Erdmut Bramke eingeladen, für die sich besonders die Bildhauerin G. Angelika Wetzel einsetzte, damals 2. Vorsitzende des Vereins für Kirche und Kunst in der Ev. Landeskirche. Sie wusste um die künstlerische Bedeutung wie um die Herkunft von Frau Bramke aus der Herrnhuter Brüdergemeine; aufgewachsen ist Bramke nämlich in Königsfeld im Schwarzwald und dort auch im Zinzendorf-Gymnasium zur Schule gegangen.
Bereits schwer von ihrer Krebserkrankung gezeichnet, kam Erdmut Bramke nach Bad Boll, um den Ausstellungsort kennenzulernen. Sie stellte für die Ausstellung vier Papierarbeiten zur Verfügung, die in der Halle der Villa zu sehen waren. Beim Besuch der Kapelle sagte sie spontan: „Ja, dafür habe ich eine Arbeit“. Und das war der „Indian Summer“, 2002, Acryl auf Leinwand, 180 x 220 cm, eines ihrer letzten Bilder.
Die Eröffnung des Boller Bußtags der Künste am 20. November 2002 konnte sie nicht mehr miterleben; sie starb 10 Tage darauf am 30. November 2002 in Stuttgart.
Die Hausarchitektin der Akademiegebäude, Nike Fiedler, war total begeistert vom Bild in der Kapelle und plädierte für einen Ankauf oder eine Dauerleihgabe des „Indian Summer“. Nach Ablauf der Ausstellung am 19. Januar 2003 kontaktierte ich (Albert Esche) deshalb Frau Dr. Ulrike Gauss von der Stuttgarter Staatsgalerie, die zugleich Vorsitzende der „Freunde der Staatsgalerie Stuttgart e.V.“ war. Dieser Verein war der Alleinerbe des kompletten Nachlasses der Künstlerin. Der „Indian Summer“ musste nach Stuttgart zurückgebracht werden, weil sämtliche Bramke-Arbeiten in das Werkverzeichnis aufgenommen werden sollten, an dem Frau Dr. Susanne Grötz über Jahre gearbeitet hat (In der Bibliothek der Akademie befinden sich alle drei Bände dieses Werkverzeichnisses).
Immer wieder fragte ich bei Frau Dr. Gauss nach dem Kapellen-Bild – und immer wieder wurde ich vertröstet. Bis ich dann endlich 2005 eine Einladung ins Atelier von Erdmut Bramke erhielt, wo ich mich mit der Nachlassverwalterin getroffen habe, allerdings ohne in der Fülle der dort aufgestellten Arbeiten den „Indian Summer“ wieder aufzufinden. Ich erhielt aber das entgegenkommende Angebot, mir für die Evangelische Akademie einige Bilder auswählen zu dürfen, die dann per Vertrag als Dauerleihgabe in unserem Haus gezeigt werden könnten. Frau Dr. Gauss meinte: „Es sei doch besser, die großformatigen Arbeiten an einem renommierten Ort wie der Akademie und ihrer denkmalgeschützten Villa Vopelius öffentlich zu präsentieren, als dass sie in einem Magazin verstauben würden!“ Dem widersprach ich natürlich nicht.
Von dem Angebot war ich hell begeistert und wusste auch die Leitung des Hauses in Direktor Jo Krummacher und Hauswirtschaftsleiterin Ingrid Hess hinter mir, die mir ihr volles Vertrauen zusicherten. Ein Glücksfall bestand darin, dass erst wenige Jahre zuvor das unter Denkmalschutz stehende Historismus-Gebäude aus dem Jahre 1894 generalsaniert wurde und zudem alle Räume ohne jede künstlerische Ausstattung waren.
So wählte ich vier Arbeiten aus, ohne genau zu wissen, wie und wo sie Platz finden und gezeigt werden könnten. Aber die Größe und Weite der Innenräume boten dafür viele Möglichkeiten, was sich dann auch im Prozess der Präsentation bestätigte.
Gezeigt werden heute in der Villa Vopelius frühe Werke aus den 1970er Jahren, denen streng geometrische Teilungsprinzipien zugrunde liegen, wobei die Farbe durchsichtig in dichten Lagen übereinander verwandt wird. Dies verleiht den Bildern bei aller Strenge doch eine hohe, wenn auch beherrschte Vitalität. Aus den 1990er Jahren können zudem zwei Arbeiten aus der Werkphase der „Schichtungen“ in der Villa gezeigt werden. In Bramkes Gemälden gibt es keine Zentrierung, keine Abgrenzung von oben und unten, keine hierarchische Gliederung. Dominierend ist stattdessen eine in alle Richtungen offene, die Fläche ausfüllende Farbstruktur. Farbe und Form bedingen sich.
Es liegt nahe, naturhafte Assoziationen oder Stimmungsbilder innerer Art an die Werke von Erdmut Bramke heranzutragen. Beim Betrachten der abstrakten Impressionen kann die eigene Erlebniswelt lebendig werden und zur Ruhe, Konzentration oder Meditation gelangen.
Da ihre Familie aus der Herrnhuter Brüdergemeine kommt, kann die hohe Konzentration der Malerei mit ihren meditativen Zügen auch als Ergebnis dieser religiös-sozialen Prägung verstanden werden. Es war Erdmut Bramkes eigener Wunsch, auf dem Gottesacker der Brüdergemeine in Königsfeld beerdigt zu werden.
Albrecht Esche, Theologe und Literaturwissenschaftler M.A., Studienleiter an der Evangelischen Akademie Bad Boll von 1995-2009 mit den Arbeitsgebieten Theologie, Literatur und Kunst.
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