Am 25. Mai 2020 wurde George Floyd in Minneapolis bei einem Polizeieinsatz getötet. Ein Polizist kniete auf dem Hals des wehrlosen Afroamerikaners und drückte ihm die Luft zum Atmen ab.
In der Folge kam es weltweit zu Protesten gegen diese brutale und unverhältnismäßige Polizeigewalt, gegen den vielfach tödlichen Rassismus in den Gesellschaften.
„Black Lives Matter“ ist bis heute die Parole gegen den weitverbreiteten Rassismus in der Gesellschaft und den institutionellen Rassismus in der Polizei.
Denn die Tötung von George Floyd war leider alles andere als ein „Einzelfall“.
Am 19. Juni dieses Jahrs gab es fast die gleichen Bilder wie diejenigen aus Minneapolis im tschechischen Teplice: Wieder kniete ein Polizist auf einem Mann, der schon am Boden lagt. Wieder rang ein Mann unter Polizeigewalt um Atem – bis ihm die Luft zum Atmen fehlte.
Diesmal ist dieser getötete Mann ein Rom: Stanislav Tomás, 46 Jahre alt.
Auch diesmal gab es Proteste. Roma und Roma-Organisationen gingen auf die Straße, demonstrierten gegen den alltäglichen Antiziganismus in der Gesellschaft und den institutionellen Antiziganismus in Polizei und Behörden.
Aber der weltweite Aufschrei blieb aus.
Die Mehrheitsgesellschaften nahmen diesen Tod kaum zur Kenntnis. „Roma Lives Matter“ wurde leider keine Parole, die um die Welt ging.
Ist also Antiziganismus kein Thema für die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland, Europa und der Welt? Ist er ihr egal? Oder ist er so normal, dass er kaum als solcher wahrgenommen wird und darum kaum auf Widerspruch stößt?
Dies vermutet Herbert Heuß, der wissenschaftliche Leiter beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma am 13. Juli im Deutschlandfunk anlässlich der Vorstellung des Antiziganismusberichtes der Bundesregierung. Wie alltäglich dieser Rassismus gegen Roma und Sinti in Deutschland ist, zeigt dieser Bericht auf seinen 800 Seiten.
Es ist erschreckend, von wie vielen Diskriminierungen in Schule, im Beruf, beim Einkaufen und bei der Wohnungssuche oder bei Behörden der Bericht erzählen muss.
Erschreckend, wie viele Sinti oder Roma von schlechten Erfahrungen mit der Polizei oder in Krankenhäusern erzählen können.
Nicht anders als der Antisemitismus hat der Antiziganismus eine lange Tradition und gehört somit zu einem nicht aufgearbeiteten, aber weiterarbeitenden Erbe in Deutschland.
Der Bericht zeigt, dass das Problem nun zumindest erkannt ist.
Die Aufgabe ist es nun, Antiziganismus zu bekämpfen, seine Geschichte aufzuarbeiten, die weithin unbekannte Geschichte der Sinti, die seit 600 Jahren in Deutschland leben, und die weithin unaufgearbeitete Geschichte des NS-Völkermordes an Sinti und Roma.
Vorgeschlagen wird von den Expertinnen und Experten der Kommission in ihrem nach zweijähriger Arbeit veröffentlichten Antiziganismusbericht z.B. die Einrichtung eines Antiziganismusbeauftragten.
Doch leider wurde diese Empfehlung von der alten Bundesregierung vorerst genauso wenig umgesetzt wie die Forderung nach einem Abschiebestopp für Roma aus den Ländern Südosteuropas, in denen der Antiziganismus der Mehrheitsgesellschaften zu massiven Ausgrenzungen von Roma führt. Denn aufgrund dessen sahen sie in ihren Herkunftsländern keine Perspektive mehr für sich und waren geflohen.
Weiter dran an der Arbeit gegen den Antiziganismus in unserem Land aber bleibt die Evangelische Akademie Bad Boll: Sie ist vertreten im Arbeitskreis „Sinti/Roma und Kirchen in Baden-Württemberg“ und beteiligt sich an der Vernetzung von Sinti, Roma und Kirchen auf Bundesebene. Sie kooperiert mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg sowie mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma bei Tagungen zu Themen, die Sinti, Roma und die Mehrheitsgesellschaft etwas angehen.
Denn für die Akademie wie die Kirche gilt: „Roma Lives Matter“ – und Antiziganismus darf keine Normalität in Deutschland und in Europa sein.
Der Theologe Wolfgang Mayer-Ernst ist seit 2014 Studienleiter für den Themenbereich „Gesellschaft, Politik, Staat“ an der Evangelischen Akademie Bad Boll. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Politik und Recht.