„Unsere Gesellschaft hat sich verrannt“

Tagung zu nachhaltigem Wirtschaften in der Evangelischen Akademie Bad Boll

Peter H. Grassmann © Ökosoziales Forum

Ohne einen tiefgreifenden Wandel in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft steht den Industrienationen der Kollaps bevor. „Wir haben uns verrannt. Das zivilisatorische Modell der Industrienationen ist nicht zukunftsfähig“, sagte Dr. Peter H. Grassmann, langjähriger Siemens-Vorstand und ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Carl Zeiss am Wochenende bei einer Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll. „Die kommenden Generationen werden uns für diese Fehlentwicklungen kritisieren."

"Marktwirtschaft hat versagt"
Grassmann, der seine Ämter 2007 niederlegte, engagiert sich heute für einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel zugunsten einer nachhaltige Wirtschaftsordnung, unter anderem als Vorstand des Ökosozialen Forums Deutschland e.V. „Probleme wie der Klimawandel oder die Finanzkrise sind verursacht durch ein Versagen unseres Wirtschaftssystems. Wir brauchen eine werteregulierte Marktwirtschaft und mehr Bürgerbeteiligung“, sagte der ehemalige Unternehmenschef. Er forderte mehr Bürgerbeteiligung bei wichtigen Weichenstellungen. Derzeit sei die Politik nicht in der Lage, die richtigen Maßnahmen für die Zukunft zu beschließen. „Unsere Parteien sind zu sehr abhängig von Wählerstimmen und stehen unter dem Druck von Unternehmen“, so Grassmann.

"Kein faires System"
Schon vor Jahrzehnten sei die Welt aus dem Gleichgewicht geraten. Bereits Ende der 70er Jahre habe die Menschheit begonnen, mehr natürliche Ressourcen zu verbrauchen oder zu beschädigen, als das Ökosystem regenerieren könne. Doch nicht nur ökologisch, auch sozial befinde sich die Welt in einer dramatischen Schieflage: „Wenn von rund sieben Milliarden Menschen die Hälfte in Armut lebt, dann ist das kein faires System“, so Grassmann.

Wirtschaftsgilde lädt Studierende zum Dialog
Bei der Tagung mit dem Titel „Weniger, anders, besser“ diskutierten rund 50 Teilnehmende am 22. und 23. Juni über ein zukunftsfähiges Wirtschaftsmodell. Mitveranstalter war neben der Evangelischen Akademie Bad Boll die Wirtschaftsgilde. Der 1948 in der Akademie gegründete Verein ethisch orientierter Unternehmer hatte zu der Tagung zahlreiche Studierende eingeladen. „Nachhaltigkeit ist eine Generationenfrage: Ältere dürfen nicht auf Kosten der Jüngeren leben. Wir sind deshalb auf dieser Tagung mit jungen Menschen über ihre Erwartungen und Vorstellungen ins Gespräch gekommen“, so Hans Füller, Vorsitzender der Wirtschaftsgilde.

LOHAS-Bewegung wächst

Unter den Referenten war auch Peter Parwan, einer der Pioniere der sogenannten LOHAS-Bewegung. Das Kürzel steht für „Lifestyle of Health and Sustainability“, also ein Ausrichtung der Lebensweise auf Gesundheit und Nachhaltigkeit. Parwan erwartet in den kommenden Jahren eine umfassende Trend-wende in der Lebensweise: „Schon heute gibt es in den USA 40 Millionen LOHAS-Anhänger, in Europa zählen 49 Millionen Konsumenten zu dieser Kategorie.“

Weniger Kosum, kürze Arbeitszeiten
Jobst Kraus, ehemaliger Studienleiter der Evangelischen Akademie Bad Boll und Nachhaltigkeits-Experte, rief zu einer radikalen Wende in Leben und Arbeiten auf. „Die Industrieproduktion muss sich qualitativ verbessern und quantitativ stark sinken. Ziel muss es sein, 50 Prozent weniger Rohstoffe und andere natürliche Ressourcen zu verbrauchen.“ Kraus warnte, die Wende zum nachhaltigen Leben und Wirtschaften sei nicht einfach zu haben. „Es reicht nicht aus, weiter zu konsumieren wie bisher und statt konventioneller Produkte nur Öko-Ware zu kaufen. Es geht um weniger Konsum, nicht nur um anderen Konsum.“ Dennoch sei eine nachhaltigere Zukunft attraktiv. „Weniger Produktion heißt auch kürzere Arbeitszeiten, vielleicht 25 Wochenstunden: Wir werden mehr Zeit haben für Beziehungen oder zivilgesellschaftliches Engagement“, sagte Kraus.

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