Bad Boll Müssen die Kirchen über den Staat, seine Institutionen und ihr Handeln wachen? Und wenn ja, wie sollte dieses Wächteramt ausgestaltet sein? Mit diesen Fragen setzt sich die Konferenz der Evangelischen Polizeipfarrerinnen und Polizeipfarrer (KEPP) vom 27. Februar bis 2. März in der Evangelischen Akademie Bad Boll auseinander. Die ehemalige Bundesjustizministerin Prof. Herta Däubler-Gmelin plädierte auf der Veranstaltung für ein neues Verständnis des Begriffs "Wächteramt".
"Ich denke, es geht nicht mehr darum, wie etwa zu Luthers Zeiten, einer autoritären Obrigkeit den Spiegel vorzuhalten und in den Arm zu fallen, sondern heute ist 'aktive Mitgestaltung' von Staat und Gesellschaft gefragt", sagte Herta Däubler-Gmelin. Das Grundgesetz lade dezidiert jeden Bürger zur Partizipation ein und das sei nicht nur für die Kirchen, sondern jeden einzelnen Protestanten als Christenmenschen eine Aufforderung zur Mitgestaltung.
Der demokratische Rechtsstaat kenne keine rechtsfreien Räume für politisches Handeln und die Verfassung habe die Rolle des Wächters dem Bundes-verfassungsgericht als Hüter der Verfassung anvertraut. Außerdem gebe es mit der Ewigkeitsklausel und schließlich auch dem Widerstandsrecht weitere Sicherungen gegen Machtmissbrauch. Dennoch könne trotz aller gesetzlich verankerten Sicherungen niemand ausschließen, dass Personen und staatliche Institutionen fehlbar seien und versagten.
"Das haben wir in unserer Geschichte häufiger erlebt. Auch heute gibt es Staaten, in denen trotz Verfassungen und Institutionen Machtmissbrauch und Willkür herrschen", erklärte die Juristin.
Wächteramt auch heute sinnvoll und nötig
"Ich halte ein an die Verkündigung gebundenes Wächteramt der Kirchen, das die staatlichen und gesellschaftlichen Sicherungen anerkennt und nicht ersetzen will, auch heute für sinnvoll und nötig." Außerdem sei die Einmischung von Christen und kirchlichen Gremien durch Stellungnahmen zu wichtigen gesellschaftlichen Fragen als aktive Mitgestaltung der Gemeinschaft wichtig und unverzichtbar, so die frühere Kirchenbeauftragte der SPD.
In den politischen Debatten der vergangenen Jahrzehnte wie etwa um Abtreibung, Sonntagsarbeit, die Ausgestaltung des Sozialstaates oder Präimplantationsdiagnostik (PID) habe sie Stellungnahmen nicht nur der Amtskirchen, sondern auch anderer kirchlicher Gremien und Einrichtungen als sinnvoll und hilfreich erlebt.
Dabei sei Pluralität der Meinungen innerhalb der Kirchen keineswegs schädlich. Um Grenzfragen etwa in der Bioethik gebe es auch in Politik und unter Juristen Debatten das könne innerhalb der Kirchen nicht anders sein. Däubler-Gmelin: "Natürlich widerspricht so etwas einem Verständnis, das unter Kirche nur Amtskirche versteht; ich sehe jedoch gerade im Protestantismus eine begrüßenswerte Vielfalt von Gremien und Einrichtungen, in der gerade auch Laien zu Wort kommen. Im Bereich der katholischen Kirche wird das nicht aufzuhalten sein." Däubler-Gmelin sieht auch viele Hinweise darauf, dass in den Kirchen der Wandel vom Obrigkeitsstaat hin zu einer rechtsstaatlichen Demokratie längst erkannt sei auch der Inhalt des Wächteramts der Kirchen habe sich entsprechend verändert.
Sie halte die Bindung von Stellungnahmen der Kirchen an den Verkündigungsauftrag für wichtig und unabdingbar. Den mittlerweile modisch gewordenen Versuchen einiger Juristen zur Relativierung der Menschenwürde als oberstem Wert des Grundgesetzes erteilte sie eine Absage: Sie sei Grund für die Menschenrechte und unverzichtbar. "Die Menschenwürde ist absolutes Stoppschild für staatliche Eingriffe" und verbiete jeden Versuch, das Folterverbot aufzuweichen oder in menschliches Leben im Bereich der Biomedizin einzugreifen.
In der anschließenden Diskussion mit den Polizeiseelsorgern betonte Däubler-Gmelin, gerade im Bereich der Polizei, in dem die Beamtinnen und Beamten das wichtige Gewaltmonopol des Staates umsetzen müssten, sei die Begleitung und Mitgestaltung von kirchlicher Seite wichtig. Neben der seelsorgerischen Betreuung durch die Polizeiseelsorger halte sie deren Aufgabe der Vermittlung der Sensibilität für die Bedeutung von Demonstrationen und Bürgergesellschaft für wichtig, aber auch, die Erfahrungen und Erwartungen der Polizei an Kirchen, Staat und Gesellschaft in Stellungnahmen der Kirchen zu transportieren.