Sind wir noch bei Trost?

Ein Relaunch zum Pfingstfest

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Keine/r mehr zuhause?

Fiele einem zu Pfingsten ein Bild ein, es wäre wohl dieses: Eine versprengte, verängstigte Schar von Jüngerinnen und Jüngern, plötzlich jäh verzückt und entflammt, mit Feuerzungen auf ihren Häuptern. Riefe man dann auch den passenden Sound zu diesem Motiv auf, man hörte im inneren Ohr das Wehen, das Brausen des Geistes, hörte Stimmengewirr, Zungenpolyphonie, allgemeines Erstaunen über das Wunder wechselseitiger Verständigung.

Gegen solch imposante Bilder und Töne hat es ein anderes Motiv, eine andere Charakterisierung des Heiligen Geistes ungleich schwerer. Während Lukas, Chronist des Pfingstfestes, zu Beginn seiner Apostelgeschichte die ikonischen Bilder zum Pfingstereignis überliefert, spricht der Evangelist Johannes in Jesu eigenen Abschiedsworten von der Verheißung des ‚Parakleten‘. Üblicherweise werden sie wiedergegeben mit dem Wort Trost: „Der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ (Joh 14,26 - Übersetzung hier und im Folgenden nach Luther)

Trost kommt in der Regel nicht nur eher unspektakulär und geräuscharm daher. Trost scheint auch ein verschlissenes Wort zu sein: Wer Trost sagt, hört oft auch gleich ‚billiger Trost‘ oder ‚Vertröstung‘ mit – die ‚Lügen der Tröster‘ (Henning Luther). Bei Trost, scheint es, ist heute niemand mehr zuhause. Mit Blick auf das Zeitgeschehen, auf das Treiben so mancher Machthaber etwa, kann man ohnehin fragen, ob diese Welt überhaupt noch bei Trost ist.

Aus Anlass des Pfingstfestes deshalb die Frage: Braucht und verträgt die Rede vom Trost einen ‚Relaunch‘? Brauchen, erwarten wir in trostlosen Zeiten einen göttlichen Geist, der nicht nur anspornt, sondern auch tröstet? Und wie könnte er aussehen, ein solcher Trost, der nicht billig und schal, nicht bloßes Geschwätz, sondern mächtige Rede, stärkende Kraft ist?

Stimmen und Gründe für pfingstlichen Trost

Geiko Müller-Fahrenholz hat „angesichts der apokalyptisch anmutenden Bedrohungen“ ein lesenswertes Buch über den Heiligen Geist geschrieben. Drei Jahrzehnte ist das schon her. Aber weder die Beschreibung unserer irdischen Zustände noch die Einschätzung des Trostes haben sich seitdem wesentlich verändert. Wie kam es dazu, fragt Geiko Müller-Fahrenholz, dass Trost derart in Misskredit geraten konnte? Seinem Eindruck nach gibt es dazu vor allem drei Gründe (zum Folgenden vgl. Geiko Müller-Fahrenholz, Erwecke die Welt. Unser Glaube an Gottes Geist in dieser bedrohten Zeit, Gütersloh 1993, 132-135):

Erstens wurde ihm zufolge die Praxis und das Verständnis des Trostes privatisiert und individualisiert. „Das Trösten wurde zu einer Domäne der Seelsorge“, seine Bedeutung für das soziale Miteinander in Gemeinde und Gesellschaft, wie es in der Bibel vielfach begegnet, geriet in Vergessenheit. Menschen begannen „dem Charisma zwischenmenschlicher Solidarität zu misstrauen“. Trösten wurde zu einer professionellen Arbeit Einzelner an Einzelnen.

Zweitens kam zunehmend, und nicht erst in der Moderne, die Vorstellung auf, Trost sei eine Art von Medizin, eine Rezeptur, die uns verlässlich und zeitnah zu heilen imstande ist: „Dass das Pneuma des Trostes etwas mit Heilung und Befreiung zu tun hat, steht außer Zweifel. Aber der Trost ist nicht die Arznei, die uns hilft, ein bestimmtes Leid definitiv loszuwerden.“ Bei Paulus dagegen, so Müller-Fahrenholz, meint Trost eine „bergende Kraft mitten im Kampf um das Reich Gottes“. Es gehe nicht um das Lösen irgendwelcher Probleme, sondern um ein „Leben in der Kraft der Solidarität, die dazu hilft, Anfechtung, dem Zweifel, der Verfolgung und dem Leid (…) standzuhalten.“

Drittens, und hier verweist Müller-Fahrenholz auf das Johannesevangelium, ist „Trost ohne Wahrheit nicht zu haben“. Trost ist nicht Schönfärberei. Bezeichnend und fatal zugleich, wenn der Volksmund zu wissen glaubt, dass nirgends so viel gelogen wird wie bei Beerdigungen. Es geschieht freilich nicht nur bei Sterbefällen, dass unter dem Deckmantel des Trostes die Wahrheit unter den Tisch gekehrt und verschwiegen wird. Der Heilige Geist ist aber bei Johannes (siehe oben!) nicht nur eine Kraft der Lehre und Erinnerung. Er/Sie ist auch eine Dynamik, die uns „in alle Wahrheit leitet“ (Joh 16,13), in eine „Wahrheit, die uns frei machen wird“ (Joh 8,32).

So betrachtet gibt es keinen Grund, warum wir auf einen Trost, der, gemeinsam geübt, dem Leiden und Unrecht unbeirrt standhält und für Wahrheit und Freiheit sorgt, verzichten sollten!

Ich füge den Überlegungen von Müller-Fahrenholz noch ein paar knappe etymologische Beobachtungen zum Trost von Reiner Strunk hinzu: In seinem Buch „Wer spricht von Trost“ (Stuttgart 2020), versammelt Strunk eine Fülle anregender Miniaturen zum Thema, „Entdeckungen aus Literatur und Bibel“. Das Wort Trost, so wird hier deutlich (vgl. aaO., 121), ist bis in seine indogermanischen Wurzeln hinein verwandt mit Treue, Festigkeit, Standhaftigkeit. Mehr noch: Trost und Trotz gehören (nicht nur sprachlich) zusammen (123). Rechter Trost gibt nicht einfach klein bei, ist nicht stilles, holdes Bescheiden. Trost kann und sollte ein Reservoir widerständiger Energien sein, eine Quelle, aus der heraus – auch dieses Motiv durchzieht, wie Strunk zeigt, die biblischen Überlieferungen – Erneuerung und Verwandlung möglich werden.

Gründe genug also für pfingstlichen Trost, die Zeiten sind wahrlich danach!

Trotz dem alten Drachen!

Jetzt noch ein Bild: Auf dem Dach des Hauptgebäudes unserer Akademie ist der Kämpferengel Michael zu sehen. Dieser Michael ist ein Wahr-Zeichen, eine Leitfigur unserer Arbeit. Er ringt den Drachen nieder, Symbol für die Mächte des Bösen, der lebensfeindlichen Ideen und Energien. Dazu passt für mich, was Reiner Strunk über den johanneischen Trostgeist schreibt: Der Paraklet „wirkt tröstend nicht nur durch seine milde Zuwendung, wie das bei der Mutter mit ihrem Kind gegenüber geschieht. Er schafft auch Stärke und die Festigkeit, die zum Widerstand befähigen. Getröstete Menschen in diesem Sinne sind keine stillgestellten und leidenschaftslosen Zeitgenossen. Sie sind ermutigte Menschen, die es mit lebensfeindlichen Mächten aller Art aufnehmen“ (aaO., 123). Und dazu zitiert er einen Hymnus von Johann Franck aus dem 17. Jahrhundert:

Trotz dem alten Drachen/trotz dem Todesrachen/trotz der Furcht dazu!

Tobe, Welt, und springe; ich steh hier und singe In gar sichrer Ruh.

Gottes Macht hält mich in acht,

Erd und Abgrund muss verstummen, ob sie noch so brummen. (EG 396,3)

Das ist ein alter Osterchoral. Aber gestimmt ist und gesungen wird er, trotzig und getrost, in pfingstlichem Geist – gerne dann auch von uns!

Der Theologe Prof. Dr. Hans-Ulrich Gehring ist Studienleiter für den Themenbereich „Kultur, Bildung, Religion“ an der Evangelischen Akademie Bad Boll. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Theologie, Digitalisierung der Kommunikation sowie Kultur. Zudem lehrt er seit 2001 im Bereich Praktische Theologie an der Universität Basel/CH.

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