Bad Boll / Kreis Göppingen - Scharf kritisiert wurde die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der juristischen Aufarbeitung des Schrottimmobilien-Skandals auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll. Das höchste deutsche Gericht versuche das Verbraucherschutzrecht der Europäischen Gemeinschaft »umzuinterpretieren und zu unterlaufen«, sagte der in Brüssel und Berlin tätige Rechtswissenschaftler Prof. Stephan Wernicke am Wochenende (17.10.2008) vor rund 50 Juristen, Verbraucherschützern und Betroffenen.
Wernicke, der selbst am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg beschäftigt war, ist der Ansicht, die höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland habe einen Kernaspekt des europäischen Gemeinschaftsrechts missachtet, wonach Verbraucher beim Widerruf von sogenannten Haustürgeschäften »aus allen Folgen des Vertrags zu entlassen« seien.
Diese Absicht der europäischen Verbraucherschützer hat für Betroffene, die Opfer skrupelloser Immobilienvermittler wurden, erhebliche Bedeutung. Denn nach herrschender deutscher Rechtsprechung ist es ihnen zwar möglich, den Kreditvertrag, aber nicht den Hauskauf zu widerrufen. Bei einem Widerruf müssen sie jedoch den Kredit inklusive Zinsen zurückzahlen. Dadurch erleiden sie einen erheblichen finanziellen Nachteil. Ohnehin ist eine Rückzahlung für die meisten Betroffenen kaum denkbar, weil ihre Ersparnisse durch den Immobilienerwerb aufgefressen wurden.
Diese Rechtslage benachteiligt nach Ansicht Wernickes die Verbraucher und wird insofern der Intension des europäischen Gemeinschaftsrechts nicht gerecht. Insgesamt sei der BGH in der juristischen Aufarbeitung des Schrottimmobilien-Skandals bei seiner »restriktiven Linie« geblieben, resümierte der Jurist. Er fügte hinzu, dass auch der sog. Überrumpelungsschutz bei Haustürgeschäften aus europäischer Sicht in Deutschland noch nicht befriedigend in nationales Recht umgesetzt sei.
Dass die höchstrichterliche Rechtsprechung in Sachen Schrottimmobilien bislang überwiegend den Banken zugute gekommen sei, bemängelte auch der Münchner Journalist Christoph Arnowski auf der Tagung. Arnowski hatte mit seinen Recherchen die skandalösen Geschäftspraktiken mit aufgedeckt, die etliche Hunderttausend Käufer in den Ruin getrieben haben.
Die Banken sind für Arnowski neben skrupellosen Vermittlern und einigen »Mitternachts-Notaren« die Hauptverantwortlichen der dubiosen Immobiliengeschäfte. Vielen Banken sei bekannt gewesen, dass die angebotenen Wohnungen häufig maßlos überteuert und im Kaufpreis »horrende Vermittlungsprovisionen« enthalten gewesen seien. Bedenkenlos und ohne auf die Bonität der Käufer zu achten seien Kredite bis in Höhe von 180 Prozent des Verkehrswertes der Immobilien ausgegeben worden. Allein bei der HypoVereinsbank seien auf diese Weise Geschäfte mit einem Finanzvolumen von mehreren Milliarden Euro aufgelaufen.
Nach Arnowski habe sich das Interesse der beteiligten Banken nur auf die Abschlussgebühren und Zinsen gerichtet. Dabei habe man in Kauf genommen, dass einige Kredite platzen und abgeschrieben werden müssen. Über Steuerausfälle seien die Verluste damit mittelbar an die Gesellschaft weitergereicht worden. Dies, sagte Arnowski, sei die gleiche Einstellung, die auch eine Ursdache für die aktuelle Finanzmarktkrise sei. (-uw)