Bad Boll. Die Bildungsangebote für junge Menschen in Gefängnissen müssen weiterentwickelt werden. Dies betonten Vertreter von Justiz- und Kultusministerium auf einer Fachtagung am Freitag in Bad Boll. Bildungsangebote für jugendliche und heranwachsende Gefangene könnten deren Chancen auf ein straffreies Leben nach der Inhaftierung wesentlich verbessern. Die beiden Ministerien wollen unter anderem für einen intensiveren Austausch zwischen den Pädagogen im Vollzug und deren Kollegen im allgemeinen Schulwesen sorgen, da beide Seiten voneinander profitieren können. Der ressortübergreifende Diskurs sei sehr wichtig, sagte Ministerialdirigent Ulrich Futter aus dem Stuttgarter Justizministerium. Zu der Fachtagung Junge Menschen im Gefängnis - bildungspolitische und pädagogische Herausforderungen im Strafvollzug hatten die Evangelischen Akademie Bad Boll, die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und die beiden Ministerien gemeinsam eingeladen. Etwa 100 Experten und Praktiker nahmen daran teil.
Insgesamt besuchen in den baden-württembergischen Gefängnissen jährlich fast 900 Gefangene schulische oder berufliche Maßnahmen, über 400 erreichen einen Abschluss. In die Justizvollzugsanstalt Adelsheim, dem einzigen Jugendgefängnis in Baden-Württemberg, kommt jeder dritte Gefangene ohne Schulabschluss. Über eine Berufsausbildung verfügen trotz des Durchschnittsalters von 20 Jahren nur etwa 3 % der jungen Gefangenen, wenn sie ins Gefängnis kommen. 44 % waren vor ihrer Inhaftierung arbeitslos, weitere 14 Prozent in prekären Arbeitsverhältnissen. Trotz der oft nur knappen Verweildauer im Vollzug erreichen beispielsweise in Adelsheim etwa 40 % der jungen Gefangenen zumindest einen Hauptschulabschluss.
Die Würde jedes einzelnen Menschen, verlangt es, sich um benachteiligte junge Menschen zu kümmern. Dies gilt auch, wenn sie Schuld, oft schwere Schuld, auf sich genommen haben, sagte Ministerialdirektor Dr. Jörg Schmidt aus dem Kultusministerium. Dass man junge Menschen an den Rändern der Gesellschaft besonders in den Blick nehme, sei Ausdruck des Bemühens um soziale sowie um Bildungsgerechtigkeit, also zentrale Anliegen der baden-württembergischen Landesregierung.
Bildungsdefizite und strafbares Verhalten seien auf komplexe Weise miteinander verkoppelt. Es sei deshalb sehr schwierig, einfache Antworten zu Ursache und Wirkung zu geben. Freilich führe ein unbefriedigender Bildungserfolg nicht direkt zu strafbarem Verhalten. Klar sei aber auch, so Ministerialdirektor Dr. Schmidt: Offensiven in der Bildung können kriminalpräventive Wirkungen haben.
Ulrich Futter, der für den Vollzug zuständige Abteilungsleiter des Justizministeriums, betonte die Bedeutung der Prävention: Wir müssen genau hinsehen und auf Fehlentwicklungen möglichst frühzeitig reagieren und gegensteuern. Hier sehe das Justizministerium noch Bedarf an Verbesserungen. Der Kampf gegen Jugendkriminalität sei dabei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch Ministerialdirektor Schmidt bestätigte: Je früher Maßnahmen in der Biografie eines jungen Menschen, desto erfolgreicher sind sie.
Junge Menschen im Strafvollzug sind etwas Besonderes, sie brauchen spezielle Bildungsangebote, so Ministerialdirektor Schmidt. Dieser Aspekt stand auch im Mittelpunkt von Workshops auf der Tagung in Bad Boll. Unter anderem ging es um die Frage, welche Impulse von der derzeitigen Debatte um die Individualisierung des Lernens auf die Schulen der Gefängnisse ausgehen können. In anderen Arbeitsgruppen beschäftigten sich die Teilnehmer zum Beispiel mit der Frage, wie berufliche Bildungsangebote in den Gefängnissen weiterentwickelt werden können, wie sich die berufliche Rolle von Lehrerinnen und Lehrern in den Justizvollzugsanstalten darstellt und welche besonderen Bedürfnisse junge Menschen mit Migrationshintergrund haben. So wies Ulrich Futter vom Justizministerium darauf hin, dass die sprachlich-kulturelle Integration von jugendlichen Migranten in den Gefängnissen besonders in den Blick genommen werden solle, zumal der Anteil jugendlicher Migranten im Jugendstrafvollzug nach wie vor überdurchschnittlich hoch sei.
Es sei keineswegs so, dass nur die Schulen in den Gefängnissen etwas von den Entwicklungen im allgemeinen Schulwesen lernen könnten, sagte Ministerialdirektor Schmidt. In den Gefängnissen sei viel Kompetenz für die Arbeit mit sozial benachteiligten Jugendlichen vorhanden. Dieses Know-how könnten auch andere Schulen gut nutzen.
Die Tagung in Bad Boll ist die Fortsetzung einer ersten Fachtagung zum Thema Schule im Vollzug im November 2012 in Stuttgart-Hohenheim. Sie nimmt auch Impulse aus einer interministeriellen Arbeitsgruppe auf, die seit Beginn des letzten Jahres zu dieser Thematik tagt. Kultusminister Andreas Stoch MdL und Justizminister Rainer Stickelberger MdL (beide SPD) hatten im September 2013 in der JVA Ravensburg Leitlinien für die weitere Zusammenarbeit vorgestellt. In diesen wird unter anderem die gemeinsame Verantwortung für die Bildungsangebote im Vollzug betont.
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- Redemanuskript von Ministerialdirektor Dr. Jörg Schmidt
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