Bad Boll - Leiharbeit, befristete Verträge und Niedriglöhne haben in den vergangenen Jahren in Deutschland stark zugenommen. Die Folgen bekommen die Betroffenen zu spüren. Wer prekär beschäftigt ist, lebt im Zeichen permanenter Verunsicherung und Angst. Er gehört zu jener flexiblen Verfügungsmasse von Arbeitskräften, die dem Produktionsprozess just in time zugeführt werden, und die lautlos verschwinden, wenn sie überflüssig sind, sagte der katholische Sozialethiker Dr. Martin Schneider auf der Erwerbslosen-Tagung für Baden-Württemberg in der Evangelischen Akademie Bad Boll. Zu den Rednerinnen gehörten auch Sozialministerin Katrin Altpeter und der ver.di-Experte Bernhard Jirku.
Vor rund 70 Teilnehmenden sagte Schneider, für diese Entwicklung der Arbeitswelt seien nicht nur die Globalisierung oder neue personalwirtschaftliche Strategien verantwortlich. Sie werde vielmehr auch durch politische Entscheidungen herbeigeführt. Unter dem Motto ,Sozial ist, was Arbeit schafft setzte man sich zum Ziel, die Schwellen für den Einstieg zu senken oder die Rückkehr in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Dass dies zum Teil gelungen ist und die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren abgebaut wurde, wird als Erfolg verbucht. Ausgeblendet wird dabei, dass durch die Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes Anreize geschaffen wurden, gesicherte Arbeitsverhältnisse in prekäre umzuwandeln, so Schneider. Kurzversion des Vortrags
"2,5 Millionen Vollzeit-Jobs abgebaut"
Zahlen zu den von Schneider beklagten Phänomenen lieferte Bernhard Jirku, Arbeitsmarktexperte der Gewerkschaft ver.di: Seit dem Jahr 2000 wurden in Deutschland 2,5 Millionen Vollzeitarbeitsplätze abgebaut und ersetzt durch Ein-Euro-, Mini- und Teilzeit-Jobs sowie die so genannten Solo-Selbständigkeit. Von 2009 bis 20010 seien 322.00 neue abhängige Beschäftiget eingestellt worden davon nur 80.000 reguläre Vollzeitstellen. Das Plus an Beschäftigen, das wir sehen, ist ein Plus an prekärer Beschäftigung, bilanzierte Jirku. Die Leiharbeit sei in den vergangenen Jahren explodiert, mittlerweile arbeiteten über 20 Prozent alle Beschäftigten zu Löhnen von weniger als 9 Euro pro Stunde. Die Hartz-IV-Agenda hat zu einer breiteren Verarmung geführt.
"Hohe Zahl von Langzeitarbeitslosen im Land"
Im Anschluss stellte Landessozialministerin Altpeter das Programm Gute und sichere Arbeit vor, das mit zehn Millionen Euro Modellprojekte und andere Maßnahmen gegen Langzeitarbeitslosigkeit fördern soll.
Die guten Zahlen bei Arbeitslosenquote oder Jugendarbeitslosigkeit können ich darüber hinweg täuschen, dass es in Baden-Württemberg eine hohe Zahl von Langzeitarbeitslosen gibt nämlich mehr als 60.000, konstatierte die Ministerin. Die von der Bundesregierung im Herbst 2011 verabschiedete Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente habe die Situation langzeitarbeitsloser Menschen noch verschärft. Der Bund hat sich damit offensichtlich von der Förderung der Menschen verabschiedet, die Mittel nach dem SGB II (Hartz IV) bekommen, sagte Altpeter. Sie stellte mehrere Programme in Aussicht, die sich gerade der Probleme der Langzeitarbeitslosen annähmen.