Jörg Hübner, Direktor der Evangelischen Akademie Bad Boll, würdigt das Lebenswerk des württembergischen Pfarrers Christoph Blumhardt (1842–1919) mit einer neuen Biografie, die Anfang Juli veröffentlicht wurde. Anlass ist der 100. Todestag Blumhardts am 2. August 2019. Jörg Hübner spricht mit der Pressereferentin der Akademie, Miriam Kaufmann, über die faszinierende Persönlichkeit Blumhardts, dessen Rolle für die Arbeit der Akademie und was wir noch heute von ihm lernen können.
Wie kamen Sie auf die Idee, über Christoph Blumhardt ein Buch zu schreiben?
Bad Boll verband ich schon als Theologiestudent mit dem Namen der beiden Blumhardts, und als ich mich dann 2013 auf meine neue Aufgabe vorbereitete, nahm ich mir wieder ein Buch des jungen Blumhardt vor und war erstaunt, wie aktuell seine Positionsbestimmung war. In Bad Boll angekommen hörte ich dann bald von Albrecht Esche: Es gibt da noch ein Archiv im Besitz der Familie Blumhardt, das bisher nicht richtig ausgewertet werden konnte, da es nicht zugänglich war. Das weckte nur noch mehr meine Neugier – und als ich die Familie erfolgreich davon überzeugen konnte, der Akademie das Archiv zu überlassen, stand für mich fest: Nun muss ich ganz im Sinne der Akademiearbeit eine Biografie über Christoph Blumhardt verfassen. Die Arbeit an den alten Quellen, die Auseinandersetzung mit alten Schriften war zu Anfang beschwerlich, aber es hat sich auch für den Erkenntnisgewinn außerordentlich gelohnt!
Was fasziniert Sie an Christoph Blumhardt?
Die Verbindung von Frömmigkeit und Engagement, sein ehrliches politisches Engagement, sein Optimismus, sein visionäres Denken, sein Glaube an die Kraft des Menschen, seine kritische Auseinandersetzung mit theologischen Traditionen, seine Sprache, sein unermüdlicher Einsatz für den Menschen, seine internationale Offenheit, sein Denken in globalen Zusammenhängen – ich weiß gar nicht, wo ich anfangen und wo ich enden soll. Mit den Herausforderungen des Globalisierungsprozesses hatte ich mich als Sozialethiker auseinandergesetzt, und hier stieß ich auf einen Menschen, der Ende des 19. Jahrhunderts prophetisch die Themen von Ökologie und Gerechtigkeit verbunden hat, auch wenn er darin immer wieder auf enormen Widerstand in seiner Umgebung traf.
Was sollte „die Welt“ unbedingt über Christoph Blumhardt wissen?
Dass er Zeit seines Lebens und aus voller Überzeugung ein Prediger, Politiker und Pazifist war und dass er auf bekannte Menschen wie Hermann Hesse, Gottfried Benn oder Karl Barth anregend gewirkt hat. Dass er einer der bedeutenden Theologen im Protestantismus war, der schon sehr früh die Grenzen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung im Blick auf die natürlichen Ressourcen thematisiert hat. Dass er ein Pazifist war, der sich schon Ende des 19. Jahrhunderts für einen kritischen Internationalismus stark gemacht hat.
Welche Rolle spielt Christoph Blumhardt für die Akademie?
Während vieler Tagungen werden Teilnehmende auf den Blumhardt-Friedhof geführt. Sie hören vom Leben Christoph Blumhardts, seines Vaters oder seines Schwiegersohnes Richard Wilhelm. Sie sind fasziniert von der Weltoffenheit, von der prophetischen Kraft und von der Weite ihrer Überzeugungen. Aber da gibt es mehr als historische Zusammenhänge: Zwischen dem visionären Denken Blumhardts und der Aufgabe der Akademie bestehen vielerlei Beziehungen. Christoph Blumhardt und die Akademie verbindet das Anliegen, die Welt zukunftsfähig zu gestalten. Oder: Der Glaube an den Menschen, an seine Gestaltungskraft und an seine Dialogfähigkeit verbindet die Akademie mit Christoph Blumhardt. Natürlich war es ein Zufall, dass 1945 zu der Zeit, als die Akademie gegründet werden sollte, gerade das Kurhaus als Feldlazarett frei war und damit zum Ort der ersten Akademietagung wurde. Aber vielleicht gibt es doch keine Zufälle …
Was können wir von Blumhardt lernen?
Dass wir als Christinnen und Christen ehrlich zu unseren Überzeugungen stehen sollten, uns nicht künstlich anpassen sollten, dass vor allem die Hoffnung auf eine neue Welt wichtiger ist als die Existenz unserer doch so kleinen und unwichtigen Kirche. Es geht nicht um das Wohl der Kirche, sondern um das Wohl der Menschheit. Dafür sind wir als Christinnen und Christen da.
Was nehmen Sie von Blumhardt persönlich mit?
Die Selbstverständlichkeit, mit der Christoph Blumhardt die österliche Hoffnung, dass Christus auferstanden ist und dass Gott die Welt hier und jetzt damit als den Ort des Ostergeschehens gewürdigt hat, in den Mittelpunkt seiner Theologie gerückt hat.
Gibt es eine Frage, die Sie gerne an Christoph Blumhardt stellen würden?
Viele Fragen betreffen konkrete Entwicklungen in Bad Boll: Zum Beispiel würde ich gerne wissen, ob Christoph Blumhardt 1913, als er altersbedingt das Haus verkaufte, auch die Möglichkeit erwogen hat, das Kurhaus in die Rechtsform einer Genossenschaft zu überführen.
Haben Sie schon eine Idee für ein neues Buch? Was wird Ihr nächstes Projekt sein?
Zunächst einmal geht es mir darum, das Erbe Blumhardts in diesem Jahr in Erinnerung zu bringen, und nächstes Jahr wird die Akademie 75 Jahre alt. Dann beschäftigt mich natürlich der Zusammenhang von sozialer Frage und Nachhaltigkeit. Ein Projekt, in dem ich das christliche Leitbild des konziliaren Prozesses „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ in neue, für heute tragfähige Formen bringen könnte – das würde mich schon faszinieren …
Am 2. und 3. August begeht die Akademie den 100. Todestag von Christoph Blumhardt. Was ist Ihnen daran wichtig?
In unserem Leitbild heißt es treffend: „Wir schätzen die besondere Geschichte und Qualität des Ortes unserer Akademie. Wir wollen dieses Erbe in unserer Arbeit als Moment der Erdung und Entschleunigung erfahrbar machen. Der Tradition des Ortes folgend wollen wir Perspektiven und Visionen entwickeln.“ Zur Tradition des Ortes gehört Christoph Blumhardt – und in seinem Sinn wollen wir Visionen für eine nachhaltige Welt und Wirtschaft schaffen.
Warum sollten die Leute unbedingt an den Feierlichkeiten zum Todestag Blumhardts teilnehmen?
Weil sie während dieser Tage erleben können: Diese Tradition Blumhardts ist nicht vergangene Geschichte, sondern hat Bedeutung für unsere gemeinsame Zukunft – und diese liegt in unser aller Gestaltungskraft!
Jörg Hübner:
Christoph Blumhardt. Prediger, Politiker, Pazifist
Evangelische Verlagsanstalt, 2019