»Ohne Benachteiligung verschieden ­sein«

Wie steht es um Chancengleichheit und Vermeidung von Diskrimierungen? Fachleute zogen auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll Bilanz.

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Bad Boll / Kreis Göppingen - Dass Menschen »ohne Angst und Benachteiligung verschieden sein können«, ist das Leitbild zahlreicher Richtlinien und Gesetze in Deutschland und Europa. Dass es zur Verwirklichung dieses Leitbildes noch erheblicher Anstrengungen bedarf, wurde am Wochenende (13./14.03.09) auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll erkennbar. Auch die Kirchen könnten ihre Spielräume besser nutzen, um Benachteiligungen zu verhindern und Vielfalt zu fördern.
Als einen wichtigen Schritt auf dem Wege zu mehr Chancengleichheit werteten die Fachleute auf der Tagung das seit 2006 gültige »Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz« (AGG). Einige Punkte seien jedoch unzulänglich geregelt. Kritik äußerte Johannes Brandstäter vom Diakonischen Werk der EKD zum Beispiel an der Ausnahmeklausel, die Vermietern die Ablehnung von Mietern erlaubt, wenn sie »ausgewogene Siedlungsstrukturen« und »ausgeglichene soziale und kulturelle Verhältnisse« gefährdet sehen. Diese Regelung gestatte unmittelbare Diskriminierungen und müsse daher geändert werden.
Der Berliner Rechtsanwalt Dirk Siegfried wies auf der Tagung darauf hin, dass erst durch die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU die sexuelle Orientierung als Diskriminierungsmerkmal in die deutsche Gesetzgebung Eingang gefunden habe. Kritisch bewertete er die Spruchpraxis der Gerichte. Ständig würden neue Begründungen gefunden, um die Gleichstellung von Homosexuellen abzulehnen. Siegfried sprach von einem »zähen und würdelosen Widerstand der Justiz«, der den Grundabsichten entgegen laufe, Lesben und Schwule gegen Diskriminierung zu schützen.
Mit Benachteiligungen wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion befasste sich Andreas Lipsch, Interkultureller Beauftragter der Evangelischen Kirche und des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau, auf der Tagung. Er stellte fest, dass muslimische Migranten überdurchschnittlich häufig von Arbeitslosigkeit betroffen sind, weniger Chancen auf höherer Bildung haben und in schlechteren Wohnverhältnissen leben. Dabei sei die Ablehnung von Muslimen im Vergleich zu anderen Ländern der EU in Deutschland besonders stark ausgeprägt.
Gerade die Diskriminierung von Muslimen stellt die Evangelische Kirche nach Ansicht von Lipsch vor besondere Herausforderungen. »Religionsfreiheit ist immer die Freiheit der Anderen«, sagte Lipsch. Deswegen sei das fortdauernde Engagement der Kirche wichtig, um Vorurteile abzubauen und Benachteiligungen zu überwinden. Dazu gehöre zum Beispiel, den Bau von Moscheen öffentlich zu befürworten, sich bei Konflikten als Vermittler zu betätigen und sich für einen islamischen Religionsunterricht einzusetzen. Auch die kirchlichen Positionen zum Kopftuchverbot sollten seiner Meinung nach überprüft werden, da das Kopftuchverbot zu einer erkennbaren Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt beigetragen habe.
Besondere Aufmerksamkeit widmete Lipsch der Rolle der Evangelischen Kirche als Arbeitgeberin. Zwar sei es ihr nach geltendem Recht freigestellt, ausschließlich Personen einzustellen, die Kirchenmitglied sind. Dies sei Teil ihres Selbstbestimmungsrechtes und bilde eine »gerechtfertigte Ausnahme vom grundsätzlichen Diskriminierungsverbot«. Aber ebenso sei es ihr freigestellt, diese Ausnahmeregelung nicht in Anspruch zu nehmen.
Als »ärgerlich« bezeichnete Lipsch, dass die Evangelische Kirche in ihrer Einstellungspraxis in der Regel so restriktiv verfahre, dass sogar eine konfessionelle Abstufung wirksam werde und nicht einmal die Mitglieder einer Kirche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen gleichberechtigt behandelt werden.
Lipsch betonte, das christliche Profil kirchlicher und diakonischer Einrichtungen sei allein durch die Kirchenmitgliedschaft der Mitarbeitenden noch keineswegs gesichert. Er sprach sich dafür aus, dass die Kirche »selbstbewusst und selbstbestimmt« auch Nichtchristen zur Mitarbeit einlädt. In der Einwanderungsgesellschaft brauchen Kirchen und diakonische Einrichtungen seiner Meinung nach »Pluralitätskompetenz«, die nur durch alltägliche Arbeit in interkulturellen und interreligiösen Teams erworben werden könne. Vor allem aber müsse man sich fragen, sagte Lipsch, »ob eine religiös entmischte Mitarbeiterschaft, und in der Folge womöglich auch ein religiös entmischtes Klientel, dem gesellschaftlichen Frieden zuträglich und mit der frohen und heilsamen Botschaft der Kirche wirklich vereinbar wäre.«
Veranstaltet wurde die Tagung von der Evangelischen Akademie Bad Boll in Zusammenarbeit mit dem Institut für Antidiskriminierungs- und Diversityfragen der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, dem Antidiskriminierungsnetzwerk in Baden-Württemberg und dem Büro für Chancengleichheit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

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