Bad Boll / Reutlingen - Im Anschluss an die umstrittene Regensburger Papstrede im September 2006 wandten sich muslimische Gelehrte aus aller Welt mit einem offenen Brief an das Oberhaupt der Katholiken. Mit diesem Schritt wollten sie Vorurteilen und Fehldeutungen entgegen treten und ein besseres gegenseitiges Verständnis fördern. Ein Jahr später veröffentlichten 138 muslimische Würdenträger ein weiteres Dokument. »Ein gemeinsames Wort zwischen Uns und Euch« ist der Text überschrieben, mit dem der Dialog mit der christlichen Welt gesucht wird.
Aus der evangelischen Kirche in Deutschland sind noch keine offiziellen Reaktionen auf diese muslimische Initiative bekannt. Jetzt hat Wolfgang Wagner, Studienleiter im Bereich Ökumene und interreligiöser Dialog, für die Evangelische Akademie Bad Boll eine Stellungnahme erarbeitet. Dieser Text wurde an das auf muslimischer Seite federführende Institut »The Royal Aal al-Bayt Institute for Islamic Thought« in Jordanien übermittelt.
In dem Dokument mit dem Titel »Von gemeinsamen Worten zu gemeinsamen Taten« weist die Akademie auf ihre langjährige christlich-islamische Dialogarbeit hin, die zugleich Teil ihrer bis in ihre Gründungsjahre zurückreichenden Bemühungen um Ausgleich und Frieden seien. Trotz bleibender theologischer Gegensätze und Differenzen verweist der Akademie-Text auf grundlegende Gemeinsamkeiten von Christen und Muslimen. So gelte beiderseits, dass die Anerkennung eines Schöpfergottes die Verantwortung für die gesamte Menschheit zur Folge hat. Mit Rückbezug auf einen der Väter der christlichen Ökumene bemühe sich die Akademie in ihrer Arbeit, die verschiedenen Religionen als »Erziehungsweisen Gottes« (Zinzendorf) zu verstehen und das Wertvolle in anderen Religionen zu entdecken.
Im folgenden dokumentieren wir den Wortlaut der Akademie-Erklärung:
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Von gemeinsamen Worten zu gemeinsamen Taten
Antwort auf das Schreiben der 138 Islamgelehrten »Ein Gemeinsames Wort «
Tageslosung und Lehrtext am 17.6.08:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! (Jesaja 43,1)
Es kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. (Matthäus 9,10)
Die Evangelische Akademie Bad Boll ist ein Bildungshaus der Evangelischen Landeskirche Württemberg, die sich schon lange der christlich-islamischen Begegnung verpflichtet weiß. Die Synode unserer Landeskirche hat am 14.Juli 2006 eine Erklärung verabschiedet, in der es unter anderem heißt:
»Muslime werden auf Dauer unsere Nachbarn bleiben.« Schon mit der Zustimmung zur Charta Oecumenica hat sich unsere Landeskirche in ökumenischer Gemeinschaft mit anderen europäischen Kirchen verpflichtet, »den Muslimen mit Wertschätzung zu begegnen und bei gemeinsamen Anliegen mit Muslimen zusammenzuarbeiten« (Art. 11).
In diesem Sinne führen wir vor allem Tagungen durch, in denen sich Muslime und Christen begegnen und zu verschiedenen gesellschaftlichen und religiösen Fragen ihre Erfahrungen und Ansichten austauschen. Beispielsweise hieß eine mehrtägige Sommeruniversität nach dem 11.September 2001 »Christen und Muslime überwinden gemeinsam Gewalt«. Wir helfen aber auch in Verbindung mit unseren Sozialdiensten (Diakonie) insbesondere vielen Migranten aus islamischen Ländern, in unserem Land heimisch zu werden.
Unsere Akademie wurde im September 1945 gegründet mit der Frage, was Christen tun können, um Krieg und Diktatur in Deutschland zu überwinden. Bald weitete sich der Horizont international und interreligiös, sodass die Akademie zum Motor vieler Friedensbewegungen bis in den Nahen Osten hinein werden konnte. Durch verschiedene Netzwerke wie »Oikosnet Europe« sind wir mit ähnlichen Einrichtungen auf der ganzen Welt verbunden.
Geholfen hat uns dabei die »Stuttgarter Schulderklärung« unserer Evangelischen Kirche in Deutschland vom Oktober 1945, die Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen übernahm, obwohl die Kirche selber auch Opfer der Diktatur war. Noch immer gilt für uns, was damals formuliert wurde:
»Wir hoffen zu Gott, dass durch den gemeinsamen Dienst der Kirchen dem Geist der Gewalt und der Vergeltung, der heute von neuem mächtig werden will, in aller Welt gesteuert werde und der Geist des Friedens und der Liebe zur Herrschaft komme, in dem allein die gequälte Menschheit Genesung finden kann.« Diese Erklärung schließt mit dem Gebet: »Komm, Schöpfer Geist!«
Aufgrund unserer guten Erfahrungen mit dem christlich-islamischen Dialog begrüßen wir die internationale Initiative »Ein Gemeinsames Wort zwischen Uns und Euch«. Sie dokumentiert den guten Willen zur Begegnung und Zusammenarbeit. Allerdings wissen wir auch, dass Worte in verschiedenen religiösen und kulturellen Zusammenhängen nicht immer dasselbe meinen, weshalb weitere Arbeit wünschenswert ist.
I Gottesliebe
Wir evangelische Christen können weder den Koran als Gottes Wort vernehmen noch Mohammed als unseren Propheten anerkennen. Wir respektieren aber beide Quellen als Grundlage der Gottesliebe im Islam. Wir bitten gleichfalls um Respekt für unser Verständnis der Gottesliebe, das zweifach ist.
Zunächst erfahren wir aus der Bibel, dass Gott die Menschheit liebt und ihr seine Liebe schon mit der Schöpfung schenkt. In Tod und Auferstehung Jesu Christi hat diese Liebe ihren Höhepunkt gefunden. Der Heilige Geist ist seine göttliche Gegenwart, die uns tröstet und stärkt. Deswegen sind unsere Gebete oft trinitarisch formuliert, aber an den einen Ewigen gerichtet. Niemals haben Christen drei Götter angebetet oder verehrt. Wir freuen uns, wenn Muslime dieses Vorurteil begraben würden.
Gottes Liebe zu uns bewirkt unsere Liebe zu ihm. Wir erfahren sie als Geschenk, auch wenn wir sie nicht verdient haben. Das ist der Sinn der evangelischen Lehre von der Rechtfertigung des Sünders.
Der Reformator der Kirche Martin Luther hat dies in seiner Formulierung des 1.Gebots meisterhaft ausgedrückt und so lernen es noch heute christliche Kinder auswendig:
»Das Erste Gebot: Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir. Was ist das? Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.«
II Nächstenliebe
Unsere Liebe zum Schöpfer konkretisiert sich in der Liebe zu seinen Geschöpfen. Da gilt nicht Rasse, Geschlecht oder Klasse, ja selbst die Tiere und die Pflanzen sind nicht ausgenommen. Darum haben Kirchen große Liebeswerke und soziale Einrichtungen geschaffen. Wir lehren aber auch den einzelnen Christen, sich immer wieder neu um diese Nächstenliebe zu bemühen. Wir finden besonders in den Lehren Jesu (Feindesliebe in der Bergpredigt z. B.) Ermutigung für unsere ethischen Bemühungen. Jede Kirchengemeinde unterhält Einrichtungen, um die Liebeswerke der einzelnen Christen zu fördern. Viele muslimische Kinder erfahren dies in unseren Kindergärten und manchen Jugendgruppen. Neben den Initiativen an der Basis und den großen Werken der Kirchen gibt es unzählige Initiativen, in denen sich Christen für das Wohl anderer über ihre Familie hinaus engagieren.
III Gemeinsames Wort
Es ist gut, wenn Christen und Muslime Gemeinsamkeiten entdecken. Viel entscheidender für den Frieden ist aber der Umgang mit Differenzen. Die Christenheit lebte in unserem Land eintausend Jahre monokulturell, ja bis 1918 gab es Staatskirchen. Andere Religionen waren wenig bekannt, ihre Anhänger lebten jenseits der Grenzen. Es gehörte zum Schock der Nazi-Zeit, dass die Gleichung »Deutscher gleich Christ« nicht mehr stimmt. Dennoch empfinden viele Deutsche, dass Deutschland kulturell ein christliches Land ist. Dies erklärt manche Animositäten gegenüber nichtchristlichen Einwanderern. Bezeichnenderweise ist die Ablehnung aber stärker in Kreisen, die Distanz zur Kirche halten. Im Zeitalter der Globalisierung müssen Menschen jedoch lernen, mit Unterschieden zu leben. Dies gilt nicht nur im persönlichen Erfahrungsbereich, sondern auch in der durch Medien vermittelten Welt. Die Produzenten von Medien haben darum eine besondere Verantwortung, die wir auf unseren Tagungen ansprechen. Diese gilt aber auch für Medienkonsumenten, die Aufklärung benötigen. Am besten ist es darum, wenn Christen und Muslime gemeinsam an konfliktträchtigen Themen aus Vergangenheit und Gegenwart arbeiten. Schon in der Schule, aber auch in der kirchlichen Jugendarbeit können Kinder lernen, wie man einfühlsamen mit fremden Menschen und ihren Überzeugungen umgeht.
Im interreligiösen Dialog wiederholt sich manche Erfahrung, die wir in der innerchristlichen Ökumene der verschiedenen Kirchen gemacht haben. Nach einer geschichtlichen Phase der »Vergegnung« (Martin Buber) mit Anklagen und Vorwürfen an die jeweils andere Seite hat die Begegnung mit selbstkritischen Einsichten begonnen. Dadurch wird die eigene Religion nicht schwächer, sondern stärker. Mit dem Blick des anderen kann ich meine eigenen Standpunkte überprüfen.
Einer der Väter der Ökumene, der evangelische Theologe Nikolaus Graf Zinzendorf hat schon im 18. Jahrhundert gelehrt, die verschiedenen Konfessionen als »Erziehungsweisen Gottes« zu sehen und den Schatz in der jeweils anderen Überlieferung zu entdecken.
So teilen wir gern mit, dass wir aus der reichen islamischen Geisteswelt viel gelernt haben und viele Christen mit Begeisterung den Islam studieren. Wir wünschen uns, dass dies auch umgekehrt geschehen möge. Unsere Akademiearbeit ist eine ständige Einladung an Muslime, sich am Gespräch über die friedliche Zukunft unserer Welt zu beteiligen.