„Luther war nie ein Türkenfeind“

Prof. Dr. Johannes Ehmann, Theologische Fakultät, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (© Claudia Mocek)

Welches Bild vom Islam hatte Martin Luther vor 500 Jahren und welche Folgen hat dies bis heute? Diese Fragen hat die Tagung „Luthers Blick auf den Islam“ gestellt, die am Freitag (5. Mai 2017) in der Evangelischen Akademie Bad Boll begonnen hat. Bei seiner Eröffnungsrede räumte der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Johannes Ehmann gleich mit einigen Missverständnissen auf und forderte dazu auf, Luthers Einschätzung des Koran als „schändliches Buch“ im historischen Kontext neu zu bewerten.

„Luthers Polemik und Apologetik drohen im historischen Kontext die Suche nach dessen Islamkunde zu überdecken“, befürchtet Ehmann und betonte, dass Luthers Auseinandersetzungen mit dem Propheten Muhammad und dem Koran von zwei Faktoren geprägt wurden: Zum einen durch die politisch-militärische Bedrohung der Türkenkriege, zum anderen durch Luthers eigene innerchristliche Kontroverse mit Rom. Die kriegerische Auseinandersetzung mit den Türken ordnete Luther der weltlichen Sphäre zu, im Papst sah er den Antichristen. Luthers Polemik gegen den Islam sei apologetisch ausgerichtet, erklärte Ehmann. Sie richte sich an die evangelische Gemeinde, die zweifach bedroht sei – auf der weltlichen Ebene durch die militärische Bedrohung durch die Türken, auf kirchlicher Ebene durch den Papst.

Luther habe den Koran zwar ein „schändliches Buch“ genannt. Doch aufgrund der mehrfach übersetzten Quellen, die ihm vorlagen, und die darüber hinaus der mittelalterlichen Schulreligion verhaftet gewesen seien, habe er kein authentisches Islambild gewinnen können, hob Ehmann hervor: „Luther war nie ein Türkenfeind.“ Er habe sich um echte Kenntnis bemüht, die zu seiner Zeit aber nicht zu erreichen war. Vor diesem historischen Hintergrund habe er eine theologische Würdigung vorgenommen, die man heute an vielen Stellen korrigieren müsse. Trotz aller Polemik habe der Reformator den Basler Druck des Koran unterstützt und nicht versucht, ihn zu unterdrücken. 

Im Anschluss an den historischen Blick auf Luther standen die Lebenswirklichkeiten und die politische Rolle des Islam in Deutschland im Mittelpunkt. Der Staatskirchenrechtler Dr. Heiko Feurer beleuchtete die juristische Situation: „Religionsfreiheit ist ein Minderheitenschutzrecht.“ Es gebe zum Beispiel kein staatlich geregeltes Anerkennungsverfahren für Religionsgemeinschaften, sondern nur für die Verleihung der Rechte einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Als problematische Punkte nannte er: die Frage der Rechtstreue, der Staatsferne, der umfassenden Pflege der Religion und vor allem die der Mitgliedschaft. Bei letzterer würden zwei extreme Meinungen aufeinanderprallen. Der Begriff Religionsgemeinschaft setze zwar Mitglieder voraus, sagte Feurer, das Selbstbestimmungsrecht lasse bei der Regelung der Struktur aber einen weiten Raum für eigenständige Lösungen.  

Der Vorstandsvorsitzende der Islamischen Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg (IGBW) e. V. Muhittin Soylu, sieht in den Lebenswirklichkeiten der Muslime heute vor allem ein politisches Experimentierfeld: „Die Versäumnisse der Vergangenheit holen uns ein“, sagte er: „Der Islam und die Muslime werden parteipolitisch instrumentalisiert.“ Die politischen Entwicklungen im Ausland belasteten das Verhältnis, Entscheidungen wie die über den islamischen Religionsunterricht würden auf die lange Bank geschoben. Der Islam sei nicht voll akzeptiert und darüber seien die Religionsgemeinschaften besorgt. Während es eine große Sensibilität gegenüber dem Antisemitismus gebe, fehle diese bei der Auseinandersetzung mit Muslimen und dem Islam. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Zahl an Geflüchteten werde sich das Bild hin zu mehr Vielfalt in Deutschland ändern. Dafür sei es aber auch nötig, dass Muslime die deutsche Sprache erlernten, dass die Religionsgemeinschaften mehr Angebote für Jugendliche auf Deutsch anbieten und die Gemeinschaften personell und strukturelle Selbstständigkeit erlangten. 

Der Referent für Interreligiösen Dialog im Kirchenamt der EKD, Oberkirchenrat Dr. Detlef Görrig, gab einen Überblick über die Schriften, die die Evangelische Kirche seit 1970 herausgegeben hat – von der Publikation „Moslem in der BRD“ (1974) über den Dialogratgeber bis hin zur „Rechtfertigung und Freiheit“ (2017). „Religiösen Fundamentalismus überwindet man durch religiöse Bildung – in allen Religionen“, sagte Görrig. Dafür sein ein wechselseitiges und gleichberechtigtes Interesse wichtig und auch deutschsprachige, islamische Theologen. „Da erwarte ich mir noch ganz viel in der Zukunft“.

Die Tagung fand statt in Kooperation mit dem Islambeauftragten der Evangelischen Landeskirche Baden-Württemberg, dem Zentrum für islamische Theologie Tübingen, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Islamischen Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg (IGBW) e. V.

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