Theologen, Nahost-Experten sowie Vertreter und Vertreterinnen zivilgesellschaftlicher Organisationen haben von Freitag bis Sonntag in der Evangelischen Akademie Bad Boll über das Kairos-Palästina-Dokument, ein Papier palästinensischer Christen, und die Lage im Nahen Osten diskutiert. Dabei übte unter anderen der ehemalige Botschafter Dr. Martin Schneller Kritik an der Nahost-Politik der Bundesregierung.
Nagelprobe für Außenpolitik der Bundesregierung
Schneller, ehemaliger Botschafter in Jordanien, forderte: Die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft müssen den Druck auf Israel erhöhen. Nur, wenn zum Beispiel finanzielle Leistungen an beide Konfliktparteien von Fortschritten im Friedensprozess abhängig gemacht werden, wird sich etwas bewegen. Eine Nagelprobe für die weitere Entwicklung im Nahen Osten steht im Herbst an. Voraussichtlich im September werden die Vereinten Nationen darüber abstimmen, ob sie Palästina als unabhängigen Staat anerkennen. Sollte die Bundesregierung wie angekündigt mit ,Nein stimmen, stellt sie sich gegen die Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft und verhindert wie schon bei der Entscheidung über einen UN-Einsatz gegen Libyen ein einheitliches Votum der EU, so der ehemalige Diplomat.
"Kein politischer Blick für Unrecht, das Palästinensern geschieht"
Auch Johannes Schnettler, Vizepräsident von pax christi, kritisierte die Haltung der Bundesregierung. Die Politik der Bundesregierung krankt daran, keinen politischen Blick für das Unrecht zu haben, das den Palästinensern geschieht. Israel verletze in den Palästinensergebieten wiederholt das Völkerecht.
In der Diskussion um das Kairos-Palästina-Dokument würdigten alle Redner das Dokument als mögliche Grundlage für einen neuen Dialog über den Nahost-Konflikt in Deutschland. In dem Papier hatten palästinensische Christen 2009 die christlichen Kirchen und die internationale Staatengemeinschaft aufgerufen, sich für eine Verbesserung der Lage in den Palästinenser-Gebieten einzusetzen. Besonders die Forderungen der Autoren nach wirtschaftlichen Sanktionen gegen Israel hatten zu einer Debatte geführt.
"Wir haben uns für Gewaltverzicht entschieden"
Dr. Jamal Khader, Dekan der Sozialwissenschaften der Katholischen Universität Bethlehem und einer der Autoren des Dokumentes, sagte, es sei ein Plädoyer für Dialog und gewaltlosen Widerstand: Wir haben uns für den Weg des Gewaltverzichts entschieden. Gerade deshalb fordern wir Kirchen und Regierungen auf, sich stärker als bisher für die Menschenrechte der Palästinenser einzusetzen. Das Leid der Menschen im Gaza-Streifen und in der Westbank sei groß. Wie der gewaltfreie Protest aussehen kann, berichtete Abdullah Abu Rahmah. Der Träger der Carl-von-Ossietzky-Medaille leitet in seinem Heimatdorf Bil´In bei Ramal-lah/Westbank die friedlichen Demonstrationen gegen die dort errichtete Sperranlage. Wir demonstrieren jeden Freitag gegen die Mauer, die durch unser Dorf verläuft. 20 weitere Dörfer haben sich angeschlossen. Dort gibt es Komitees, in denen sich Männer, Frauen und Kinder zusammenschließen. Wir gehören keiner Partei an, wir laden Israelis und Gäste aus dem Ausland zum Gespräch ein".
Entschieden gegen jeden Aufruf zum Boykott israelischer Waren"
Dieter Qualmann, Mitglied der AG Oldenburg der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, sagte, es gebe unterschiedliche Positionen innerhalb der DIG zu dem Papier. Er glaube, es sei hilfreich, um einen Dialog zu begründen, kritisierte jedoch vor allem den Aufruf nach wirtschaftlichem Boykott Israels. Ich wende mich entschieden gegen jeden Aufruf zum Boykott israelischer Waren oder zu wirtschaftlichen Sanktionen, sagte der Theologe. Die Kirchen hätten 1933 zu Boykottaufrufen gegen jüdische Geschäfte geschwiegen, deshalb dürften sie nun jedweden Rufe nach wirtschaftlichen Sanktionen keine Plattform bieten. Auch Pfarrer Friedhelm Pieper, Beauftragter für Entwicklung und Partnerschaft Europa am Zentrum Ökumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sagte: Ein solcher Aufruf zum Boykott Israels weist Israel die alleinige Ursache des Konflikts zu und macht Israel allein für die Lösung dieses Konflikts verantwortlich. Statt eines Boykotts könnten religiöse Gruppen, Kirchen und Friedensinitiativen Foren der Begegnung bieten für Investitionen etwa in die Bildungsarbeit und den interreligiösen Dialog eintreten.
Iris Hefets von der Organisation Kritische Juden und Israelis plädierte dagegen für einen Boykott von Waren aus Israel. Dieser Boykottaufruf ist aber kein rassistische Kampagne, er richtet sich nicht gegen Menschen, Ethnien oder Religionen, so Hefets. Sie ist jüdische Israelin und lebt seit neun Jahren in Deutschland.
Veranstalter der Tagung
Die Tagung veranstaltete die Evangelische Akademie Bad Boll gemeinsam mit der deutschen Sektion von pax christi, der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Baden-Württemberg und dem Evangelischen Missionswerk in Südwestdeutschland.
Kontakt:
Katja Korf, Pressesprecherin, Tel. 07164/79-300, Mobil: 0170-3185743, katja.korf@ev-akademie-boll.de