Kontroverse über Mindestlohn

Wirtschaftsfachleute diskutierten in der Evangelischen Akademie Bad Boll über staatliche Eingriffe bei der Lohnfindung

<p><em>Nicht immer gelang es der Gewerkschaftsfrau Leni Breymaier den Wirtschaftspolitiker Oswald Metzger in den Hintergrund zu drängen</em></p><p><h1>Zusatzinfos</h1>Abdruck honorarfrei. Bei Veröffentlichung Belegexemplar, bzw. Hinweis auf den Sendetermin erbeten!<br /><br />Dieser Text hat 4162 Anschläge (ohne Überschriften und Absätze); das entspricht etwa 104 Zeilen zu je 40 Anschlägen.</p>

»Wenn es nicht gelingt, durch Löhne ein menschenwürdiges Auskommen zu schaffen, werden viele Menschen für dieses System nur noch Verachtung übrig haben«. Diese Einschätzung äußerte der Böblinger Betriebsseelsorger Hartmut Zweigle am Wochenende (11./12. April 2008) auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll, die sich mit Mindestlöhnen und der Krise der Marktwirtschaft befasste.

Als besorgniserregend bezeichnete der Betriebsseelsorger die Distanz zur Gesellschaft, in die immer mehr Menschen durch Niedriglöhne oder Arbeitslosigkeit geraten. Er plädiere deshalb »eindeutig für einen Mindestlohn«. Auch die Tatsache, dass sich viele Unternehmen der Tarifbindung entzögen oder Abschlüsse mit konkurrierenden Gewerkschaften anstrebten, spreche für einen staatlich festgelegte untere Lohngrenze. »Wenn die Selbstregulierung des Marktes nicht mehr funktioniert«, sagte Zweigle, »sind Eingriffe in den Markt nicht von vorneherein von Übel«. Der Betriebsseelsorger erinnerte an den biblischen und urchristlichen Auftrag, die Armen zu schützen und jenen beizustehen, die im Schatten des Wohlstands leben.

Für den Präsidenten der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dr. Dieter Hundt, bedeuten Mindestlöhne dagegen einen »massiven Eingriff in die Tarifautonomie«, die maßgeblich zum sozialen Frieden und wirtschaftlichen Wachstum in Deutschland beigetragen habe. Seiner Meinung nach »entwerten Mindestlöhne bestehende Tarifverträge« und stellen das bewährte System der Lohnfindung in Frage.

Zugleich warnte der Arbeitgeber-Chef in Bad Boll vor arbeitsmarktpolitischen Folgen. Wenn Unternehmer höhere Löhne bezahlen sollen, als durch Produktivität und im Wettbewerb abgegolten werden könne, führe dies zu einer Vernichtung von Arbeitsplätzen. Deutschland habe gerade im Niedriglohnsektor einen erheblichen Nachholbedarf. Mindestlöhne verhindern nach Ansicht Hundts den Einstieg in diesen Sektor und damit in die Erwerbstätigkeit. Statt Mindestlöhne festzulegen solle der Staat Mindesteinkommen garantieren. Dafür gäbe es aber bereits heute mit der lohnergänzenden Unterstützung im Rahmen des aufstockenden Arbeitslosengelds II ein funktionierendes Instrument.

Auch der Ex-Grünenpolitiker Oswald Metzger sprach sich auf der Tagung nachdrücklich gegen Mindestlöhne aus. Die Diskussion über diese Frage bezeichnete er als »grotesk und verlogen«. Schon heute gäbe es durch bestehende Sozialtransfers faktisch einen Mindestlohn. Gewerkschafter, Politikern und Wählern hielt er vor, nicht ehrlich zu sein, wenn Forderungen gestellt würden, »die jeder volkswirtschaftlichen Vernunft widersprechen«. Staatliche Eingriffe bei der Lohnfindung führen nach Metzgers Ansicht zu einer Fehlsteuerung. Deswegen seien auch die unlängst beschlossene Verlängerung des Bezugs von Arbeitslosengeld bei älteren Arbeitnehmern und die Erhöhung der Renten verfehlte Maßnahmen. Angesichts der nach Metzgers Auffassung absehbaren Abschwächung der Konjunktur habe ein Mindestlohn auch für den Arbeitsmarkt fatale Folgen. »Der Beschäftigungsaufbau dreht bereits wieder am kurzen Ende«, sagte Metzger. Ein Mindestlohn würde vor allem die gering Qualifizierten erneut in die Arbeitslosigkeit drängen.

Ganz anders schätzte die baden-württembergische Landesleiterin von ver.di, Leni Breymaier, die arbeitsmarktpolitischen Folgen eines Mindestlohns ein. In Deutschland seien kurzfristig 100.000 Arbeitsplätze, langfristig 440.000 Arbeitsplätze durch die Einführung eines Mindestlohns zu gewinnen. Dieser Effekt entstehe im wesentlichen durch eine Erhöhung des Konsums, der Neueinstellungen möglich mache.

Nach Ansicht der Gewerkschafterin gibt es »seit Hartz IV einen ungehemmten Fall der Löhne«. Insbesondere im Bereich des Einzelhandels sieht sie ein Einbrechen der Einkommen. »Wir überführen in diesem Land eine Kernbranche in Hungerlöhne«, sagte Breymaier. Deshalb sei es erforderlich, mit gesetzlichen Mindestlöhnen eine »Auffanglinie nach unten zu schaffen«, wie dies auch beim Urlaub und der Wochenarbeitszeit der Fall sei.

Die Veranstaltung wurde von der Evangelischen Akademie Bad Boll und dem Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer in Deutschland e. V. organisiert. (-uw)

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