Bad Boll. Am Montag haben rund 100 Teilnehmende in der Evangelischen Akademie Bad Boll über das neue Arbeitsrechtsregelungsgesetz diskutiert. Dabei lagen die Meinungen der diakonischen Arbeitgeber und der Mitarbeitervertretungen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (LakiMAV) sowie der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen (MAV) im Diakonischen Werk Württemberg (AGMAV) weit auseinander. Während sich erstere für die Arbeitsvertragsrichtlinie der Diakonie Deutschland (AVR-DD) aussprachen, vertraten LakiMAV und AGMAV die Auffassung, dass die Arbeitsvertragsrichtlinie Württemberg (AVR-WÜ) für kirchliche und diakonische Beschäftigte besser sei, da diese von der Arbeitsrechtlichen Kommission Württembergs auf identischer Basis des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes (TVöD) und bei geringfügigen Abweichungen beraten und beschlossen werde. Es wurde von etlichen anwesenden Synodalen vermutet, dass es für die Idee der diakonischen Dienstgeber, die AVR-DD als tarifliche Leitwährung vorzuschreiben, anlässlich der Modifizierung des Arbeitsrechtsregelungsgesetzes (ARRG-WÜ), wohl keine Mehrheit in der Landessynode geben wird. Die Forderung, genau diese AVR-DD künftig als Leitwährung auch in Württemberg vorzuschreiben, hat der Hauptgeschäftsführers der Evangelischen Heimstiftung Bernhard Schneider, der auch Vorsitzender der Trägerversammlung des Diakonischen Werkes Würt-temberg ist, in seinem Vortrag erhoben.
Vielfach wurde betont, es gehe beim neuen Arbeitsrechtregelungsgesetz ausschließlich um ein Verfahrensgesetz für die Arbeit der Arbeitsrechtlichen Kommission (AK) in Württemberg und es dürfe nicht durch die Hintertür zu einer Oktroyierung eines arbeitgeberfreundlichen Tarifes kommen. Die von den diakonischen Dienstgebern favorisierte AVR-DD führe letztlich zu einer Entmachtung des württembergischen dritten Weges und seiner Arbeitsrechtlichen Kommission und gefährde den sozialen Frieden im Arbeitsrecht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und ihres Diakonischen Werkes.
Der Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werkes Württemberg Oberkirchenrat Dieter Kaufmann beruhigte mit der Information, dass 87 Prozent der diakonischen Träger in Württemberg die Arbeitsvertragsrichtlinie Württemberg (AVR-WÜ) als eine am TVöD angelehnten Arbeitsvertragsrichtlinien benutzten. Diesen Sachverhalt bewertete der Tübinger Sozialethiker Prof. Dr. Matthias Möhring-Hesse in seinem Vortrag allerdings als parasitär, weil die kirchlichen und diakonischen Beschäftigten sich so bequem ausruhen könnten und nicht der Gewerkschaft Verdi beitreten brauchten und sich auch nicht bei Tarifauseinandersetzungen die Hände schmutzig machen müssten, da sie durch die Tarifvereinbarungen im öffentlichen Dienst ohnehin zu guten Lohnabschlüssen kämen. Ein solch bequemes Verfahren sei politisch und sozialethisch nicht akzeptabel, weil die Solidarität der kommunalen Arbeitnehmer von den kirchlichen und diakonischen Arbeitnehmern ausgenutzt werde. Die Beschäftigten von Kirche und Diakonie könnten sich auf Dauer nicht darauf verlassen die Tarife anderer nur zu kopieren. In seiner Wortmeldung sagte der AGMAV-Vorsitzende Ulrich Maier: Es bestehe gerade bei den durch die AGMAV organisierten Delegierten eine überwältigende Zustimmung zum TVöD von satten100 Prozent.
Möhring-Hesse unterstrich, dass ohne Gewerkschaften in der Arbeitswelt so etwas wie ein gerechter Lohn nicht möglich sei, denn nur die Tarifautonomie und -verhandlungen seien durch die kollektive Solidarität der Beschäftigten geprägt. Er empfahl allerdings, aufgrund des sehr geringen Organisationsgrades der Gewerkschaft Verdi im Bereich von Kirche und Diakonie in Württemberg in den kommenden Jahren das Kommissionsmodell des dritten Weges beizubehalten, weil durch LakiMAV und AGMAV die Beschäftigten im Bereich der Landeskirche und ihres Diakonischen Werkes ihre Interessen sehr gut und durchaus durchsetzungsfähig vertreten könnten. Das BAG-Urteil erfordere allerdings auf Dauer eine mehr als symbolische Beteiligung der Gewerkschaften. Deshalb sei der kirchliche Sonderweg im Arbeitsrecht auf Dauer auch nicht zu halten.
Die Leiterin des Fachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen der Gewerkschaft Verdi Baden-Württemberg, Irene Gölz, verneinte das Angebot der Landeskirche an einer Beteiligung bei der Arbeitsrechtlichen Kommission in Württemberg. Sie sieht hinter dem Bemühen der diakonischen Dienstgeber die AVR-DD zu oktroyieren das Bestreben, die oberen Lohngruppen im diakonischen Bereich auf Kosten der unteren Lohngruppen besser zu stellen. Sie räumte allerdings auch ein, dass Verdi noch bei weitem keinen guten Organisationsgrad in Kirche und Diakonie vorweisen könne. Aber die politische und zivilgesellschaftliche Akzeptanz des dritten Weges schwinde deutlich, so dass die Landessynode sicher gut beraten wäre, sich mit Verdi endlich auf den Weg der Neuordnung des kirchlichen Arbeitsrechtes zu machen. Das Modell von kirchengemäßen Tarifverträgen, wie in Niedersachsen, böte gute Ansätze für ein kooperatives Modell auch für die württembergische Landeskirche.
Der Vorsitzende der AGMAV, Ulrich Maier, sieht in seinem Beitrag die Ursache für die Gegensätze zwischen diakonischen Arbeitgebern und den Beschäftigten in der Diakonie in den marktorientierten Bedingungen der Sozialen Arbeit. Er sagte: Bei Personalkostenanteilen von über 50 Prozent bis zu mehr als 85 Prozent geht es um einen scharfen Lohnkostenwettbewerb in den Arbeitsfeldern der freien Wohlfahrtspflege. Er lobte, dass die großen kirchlichen Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas nun eine gemeinsame Kampagne zur Tariftreue gestartet hätten. Gegenwärtig werde geprüft, ob über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes (TVöD) der Lohnkostenwettbewerb der Anbieter sozialer Dienstleistungen reguliert werden könnte. Er empfahl die Entscheidung der badischen Landessynode auch in Württemberg zu praktizieren, so dass auch die württembergische Landessynode dem Oberkirchenrat einen Prüfauftrag zum Abschluss von Tarifverträgen mit der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi erteilt.
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