Bad Boll. „Vielfalt macht unser Land stark.“ Davon zeigte sich Staatsministerin Annette Widmann-Mauz beim Neujahrsempfang der Evangelischen Akademie in Bad Boll am 20. Januar 2019 überzeugt. Entsprechend hatte sie ihren Festvortrag unter die Überschrift „Integration ist eine Entscheidung! Ein Plädoyer für Vielfalt und Zusammenhalt in unserem Land“ gestellt. „Heute leben wir in einem vielfältigen Deutschland, das Menschen verschiedenster Herkunft ihre Heimat nennen“, sagte Widmann-Mauz, die seit März 2018 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration ist.
Dass Migration der Normalfall in Deutschland sei, zeige die Geschichte, sagte sie und erinnerte an die Einwanderung von Hugenotten im 17. Jahrhundert, an die Ruhr-Polen im 19. Jahrhundert, an die Millionen Gastarbeiter aus der Türkei und aus Südeuropa, sowie die 4,5 Millionen Aussiedler und Spät-Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion. Seit der Wiedervereinigung erlebe Deutschland außerdem eine Einwanderung aus den EU-Staaten mit jährlich rund 900.000 Zuzügen.
„2015 und 2016 kamen in einer Ausnahme-Situation viele Flüchtlinge“, sagte Widmann-Mauz. 2015 habe es 477.000 Asyl-Anträge gegeben, 2016 dann 746.000. Die Zahlen seien aber stark zurückgegangen. Seit 2017 stellten deutschlandweit rund 12.000 Menschen im Monat einen Asylantrag. „Die Einwanderung der vergangenen Jahrzehnte hat das Staatswesen gestärkt. Wirtschaft, Sozialversicherungen und Gesellschaft haben langfristig profitiert“, stellte Widmann-Mauz fest.
Von den Problemen, Rückschlägen und Hürden, die es zweifellos gebe, solle man sich aber nicht aus der Bahn werfen lassen, riet sie und erinnerte an die Worte des Apostel Paulus. „Einer komme dem anderen mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist, fröhlich in der Hoffnung, geduldig in Trübsal. Übt Gastfreundschaft. Seid eines Sinnes untereinander. Lasst euch nicht vom Bösen überwinden, sondern überwindet das Böse mit Gutem“, zitierte die Migrationsbeauftragte aus dem zwölften Kapitel des Römerbriefs.
Diese Verse könnten als Wegweiser für die Ausgestaltung eines guten Zusammenlebens dienen. Zwar wehe der Vielfalt der Gegenwind wieder heftiger ins Gesicht. Deswegen solle sich aber niemand entmutigen lassen. „Eine Demokratie und ein Rechtsstaat müssen Kritik zulassen, sie müssen Widerspruch nicht nur aushalten, sondern sich mit anderen Meinungen und Wahrnehmungen aktiv auseinandersetzen“, sagte Widmann-Mauz. Gleichzeitig räumte sie ein, dass die Politik in den vergangenen Jahren ein Stück weit versäumt habe, „das Rumoren in Teilen der Bevölkerung wahrzunehmen, aufzunehmen und zu adressieren.“ Es sei deshalb das Gebot der Stunde, mit Wort und Tat auf Integration und Zusammenhalt zu setzen. „Integration ist eine Entscheidung, die nicht für 19,3 Millionen Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte wichtig ist, sondern für alle 82 Millionen im Land.“
Seit 2015 habe sich fast jeder zweite deutsche Bürger aktiv entschieden, Menschen in Not zu helfen und ihnen das Ankommen zu erleichtern. Gerade die Kirchen leisteten hier Enormes. „Dafür bin ich zutiefst dankbar“, sagte Widmann-Mauz und rief dazu auf, optimistisch zu bleiben. „Wir haben guten Grund dazu, wenn wir konsequent zu der Entscheidung stehen, dass wertebasierte Vielfalt unser Land stärkt.“ Mit Schwarzmalerei, Abschottung und dem Einnisten in der eigenen Filter-Blase werde man sicherlich nicht mehr Zusammenhalt und Integration schaffen. „Stattdessen sollten wir einander wieder mehr zuhören, andere Meinungen aushalten, Integrationserfolge und Integrationsdefizite klar benennen und dann gemeinsam Maßnahmen konkretisieren, damit Integration nachhaltig gelingt.“
In seiner Begrüßung hatte auch der Direktor der Akademie, Prof. Dr. Jörg Hübner, von der Notwendigkeit der Zuversicht gesprochen. Die Diskurslandschaft verändere sich derzeit rasant. „Die Art und Weise, wie – auch bedingt durch die Sozialen Medien – gegiftet und geschimpft wird, wie Diskussionen zu hysterischen Aufregungen verkommen, ist unübersehbar geworden. Das haben wir im vergangenen Jahr auch zu spüren bekommen, als die Nahost-Tagung anstand“, sagte Hübner.
Die demokratische Kultur setze dem Narzissmus Grenzen und ermögliche, sich für den anderen zu öffnen und füreinander Mitgefühl und Respekt zu empfinden. „Hier eignet sich dann Integration“, sagte Hübner und führte aus, dass die Evangelische Akademie sich seit ihrer Gründung vor 74 Jahren als ein Ort verstehe, an dem genau in diesem Sinne die demokratische Kultur gefördert und gepflegt werde. „Wir haben den Anspruch an uns selbst, dass wir in einer Gesellschaft, die sich im Wandel befindet, etwas bewegen wollen im Sinne eines Mehr an Demokratie, Zukunftsfähigkeit und sozialem Zusammenhalt.“ Deswegen setze die Akademie auch unangenehme Themen und lasse sich durch hysterische Aufregung von diesem Anspruch nicht abbringen. „Sie leistet damit ihren Beitrag zur Integration der Gesellschaft“, sagte Hübner, der außerdem den Musikerinnen und Musikern der Ziryab-Akademie dankte, die unter der Leitung des Gitarristen und Komponisten Zaza Miminoshvili mit ihrer Weltmusik für die festliche Umrahmung der Veranstaltung sorgten.
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