Fast Fashion - aktuelles Thema in SYM

Der Grüne Knopf wurde jetzt als staatliches deutsches Gütesiegel eingeführt – das neue SYM berichtet darüber, wie Fast Fashion zur Ausbeutung von Arbeiter_innen beiträgt und die Klimakrise befeuert. Foto: Shutterstock.com

Von Miriam Hitzelberger

Der soziale Fußabdruck unserer Kleidung. Bis die Jeans oder die T-Shirts, die wir tragen, bei uns im Laden zum Verkauf ausliegen, haben die Kleidungsstücke bereits eine weite Reise hinter sich. Die textile Lieferkette ist lang und komplex und von zahlreichen sozialen Missständen geprägt – angefangen bei der Saatgutgewinnung für den Baumwollanbau bis hin zum Nähen und Veredeln der Kleidung. Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften prangern immer wieder die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Textilproduktion an. In den Produktionsländern werden in der Regel keine existenzsichernden Löhne gezahlt, was dazu führt, dass Überstunden häufig an der Tagesordnung stehen, damit Arbeiter_innen überhaupt einen Lohn verdienen, von dem sie ihre Grundbedürfnisse finanzieren können. Die Asia Floor Wage Alliance, ein Zusammenschluss von Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften in der Textilindustrie, geht davon aus, dass in der konventionellen Textilproduktion nur etwa zwischen 0,5 und 3 Prozent des Verkaufspreises an die Näher_innen gehen. Neben Niedriglöhnen sind auch gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen keine Seltenheit in der Textilindustrie. Dazu tragen auch die verpflichtenden Überstunden bei, da sie die Freizeit und Erholungsphasen der Arbeiter_innen beschneiden. Aber auch der Einsatz von Chemikalien ohne entsprechende Schutzbekleidung, die Hitze in vielen Fabriken und fehlende Pausenzeiten führen dazu, dass Arbeiter_innen einem besonders hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind.

Gewerkschaften in den Produktionsländern fordern höhere Löhne, sichere Arbeitsbedingungen und Schutz vor Gewalt am Arbeitsplatz. Zwar haben einige der Produktionsländer einen gesetzlichen Mindestlohn, jedoch reicht dieser nicht zum Leben. In Bangladesch etwa beträgt der monatliche Mindestlohn derzeit 8000 Taka (83 €) – ein existenzsichernder Lohn, wie ihn die Gewerkschaften fordern, müsste mindestens das Doppelte betragen. Gewerkschaften haben es zudem in vielen Produktionsländern nicht leicht. Gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung ist weit verbreitet und so werden Arbeiter_innen z.B. durch Einschüchterung von den Fabrikleitungen davon abgehalten, sich zu organisieren. Beispiele wie das von Kalpona Akter, Geschäftsführerin des Bangladesh Centre for Worker Solidarity (BCWS), zeigen, dass das Engagement für Arbeiter_innenrechte nicht immer ungefährlich ist: Aufgrund ihres Engagements saß Kalpona Akter bereits im Gefängnis. Protestaktionen von Arbeiter_innen werden oft gewaltsam unterdrückt, wie sich erst Anfang des Jahres beim Protest gegen die zu niedrige Anhebung des Mindestlohns in Bangladesh zeigte, der von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen niedergeschlagen wurde.

Ausbeutung mit System: Fast Fashion. Die Verantwortung für die zahlreichen sozialen Missstände entlang der textilen Lieferkette ist keineswegs nur den Zuliefererbetrieben, bei denen die Produktion stattfindet, anzulasten. Vielmehr liegt die Verantwortung bei den großen europäischen und US-amerikanischen Modeunternehmen. Fast-Fashion-Giganten wie Primark, Zara, H&M oder Mango bringen bis zu 24 Kollektionen im Jahr heraus, die zum Teil wöchentlich wechseln. Dies ist möglich, da der Produktionszyklus der Kleidungsstücke, vor allem bei stark trendbezogener Kleidung, enorm komprimiert wurde und ›just in time‹ produziert wird, um Lagerkosten zu sparen. Diese kurzfristige Einkaufs- und Produktionsweise geht jedoch zu Lasten der Zuliefererbetriebe, die unter enormem Druck und in starkem Wettbewerb zueinander stehen, in möglichst kurzer Zeit hohe Volumen zu niedrigen Preisen zu produzieren. Der Druck steigt, wenn es kurzfristig zu einer besonders hohen Nachfrage kommt und schnell nachproduziert werden muss. Zu spüren bekommen dies letztlich die Arbeiter_innen, die insbesondere bei Last-Minute-Bestellungen zu Überstunden verpflichtet werden und massiven Arbeitsrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Zudem lagern Zuliefererbetriebe unter hohem Lieferdruck immer wieder auch Teile ihrer Produktion an Subunternehmen aus, was ein besonders hohes Risiko für Kinder- und Zwangsarbeit birgt.

Die Jeans und die Klimakrise. Die globale Textilproduktion ist jedoch nicht nur von enormen sozialen Missständen geprägt, sondern trägt auch maßgeblich zur Klimakrise bei. Die Treibhausgasemissionen der globalen Modeindustrie liegen mit rund 1.500 Millionen Tonnen CO2 über dem gesamten internationalen Flug- und Schifffahrtsverkehr. Doch nicht nur in puncto CO2 sind unsere Jeans, T-Shirts u.a. echte Umweltsünder: Unsichtbar für uns stecken in unseren Kleidungsstücken viele Liter Wasser, Erdöl und Chemikalien. So sind in einem T-Shirt etwa 2.500 Liter Wasser und einer Jeans im Schnitt 11.000 Liter Wasser ›versteckt‹, wobei 85 Prozent  davon beim Baumwollanbau anfallen und 15 Prozent bei allen weiteren Produktionsschritten. Auch wenn mittlerweile sogar Unternehmen wie H&M Produkte aus Biobaumwolle anbieten, liegt der Anteil von Biobaumwolle nach wie vor weltweit bei unter einem Prozent. Im konventionellen Baumwollanbau, aber auch in zahlreichen weiteren Produktionsschritten kommen unzählige Chemikalien zum Einsatz – viele davon sind giftig für Mensch und Umwelt. Aufgrund mangelnder Schutzmechanismen gelangen viele Chemikalien direkt ins Wasser und schädigen so nicht nur die Gesundheit der Arbeiter_innen. Der Anteil an Kleidung aus Kunststofffasern hat in den vergangenen Jahren ebenfalls stark zugenommen und zu einem massiven Anstieg im Erdölverbrauch der Textilindustrie geführt. Heute werden in der Modeindustrie jährlich fast 100 Millionen Tonnen Erdöl verbraucht, um Kunststofffasern herzustellen. Bis 2030 wird ein Anstieg auf 300 Millionen Tonnen erwartet – angesichts der zunehmenden Erderwärmung ein katastrophaler Trend.

Die Zahlen verdeutlichen: Unsere Jeans haben eine Menge mit dem Klimawandel zu tun und wir als Konsument_innen tragen mit unserer Kaufentscheidung dazu bei. Noch nie haben Menschen in Deutschland so viel Kleidung gekauft wie in den letzten Jahren – und gleichzeitig noch nie so wenig Geld dafür ausgegeben. Von 2000 bis 2015 hat sich die Anzahl der gekauften Kleidungsstücke auf etwa 100 Milliarden verdoppelt. Im Schnitt kauft jede Person in Deutschland im Jahr etwa 60 neue Kleidungsstücke, von denen 20-30% nie getragen werden. Auch in Altkleidersammlungen spiegelt sich dieser besorgniserregende Trend zu immer kurzlebigeren Kleidungsstücken wider: Bereits jetzt fallen in Deutschland jährlich rund eine Million Tonnen Altkleider an, wie der Dachverband FairWertung angibt – Tendenz steigend.

Schluss mit Freiwilligkeit – gesetzliche Verpflichtungen für unternehmerische Sorgfaltspflichten. Um nachhaltige Veränderungen in globalen Lieferketten wie der Textilindustrie zu erzielen, fordern viele zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland gesetzliche Verpflichtungen für Unternehmensverantwortung. Ein Lieferketten- oder Sorgfaltspflichtengesetz soll deutsche Unternehmen verpflichten, auf Menschenrechte und den Schutz der Umwelt in ihren globalen Lieferketten zu achten. Ein Anfang des Jahres bekannt gewordener, weitreichender Entwurf für ein solches Gesetz aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) könnte ein wichtiger Schritt in Richtung verpflichtende Unternehmensverantwortung sein – doch gleichzeitig werden die hoffnungsvollen Aussichten getrübt: Derzeit setzt die Bundesregierung mit dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) ausschließlich auf freiwillige Selbstverpflichtungen. Bis 2020 steht ein sogenannter Monitoring-Prozess an, bei dem Unternehmen dazu befragt werden, welche Schritte sie zum Schutz der Menschenrechte in ihren Lieferketten unternehmen. Wenn dabei weniger als die Hälfte der Unternehmen die Menschenrechte ausreichend schützt, dann will die Bundesregierung gesetzliche Schritte in Erwägung ziehen. Im Monitoring-Prozess werden jedoch keineswegs alle in Frage kommenden Unternehmen, sondern nur eine zufällige Auswahl von 1.800 Unternehmen befragt. Das Monitoring beruht außerdem auf Selbsteinschätzungen der Unternehmen und nicht auf unabhängigen Kontrollen. Der Druck muss daher insbesondere auf die Politik erhöht werden, damit verbindliche Standards für Unternehmen und der Schutz von Menschenrechten und Umwelt endlich Wirklichkeit werden. Im Herbst startet eine breit getragene Kampagne, die ein Lieferkettengesetz mit verbindlichen Sorgfaltspflichten fordert. Auch in Baden-Württemberg hat sich ein Netzwerk gebildet, das dieses Anliegen unterstützt.

Zusatzinfo 1 
Die Macht der Konsument_innen 

Wir als Verbraucher_innen können viel dazu beitragen, dass sich positive Veränderungen in der Modeindustrie durchsetzen: Angefangen bei einem bewussten Textilkonsum, der die Frage danach, was wir wirklich brauchen in den Vordergrund stellt, bis hin zu einem neuen, wertschätzenden Umgang mit dem, was wir bereits haben. Die Bewegung, die sich kritisch und kreativ mit den aktuellen Problemen in der Textilindustrie auseinandersetzt, wächst. Kleidertauschpartys werden immer beliebter und bieten eine einfache Möglichkeit, der Kleiderverschwendung etwas entgegenzusetzen und den eigenen Kleiderschrank – losgelöst von jeglichem Konsumzwang – ›neu‹ zu bestücken. Upcycling-Aktionen geben Tipps und Anregungen, wie wir unsere Kleidung reparieren oder umgestalten können, um ihr neues Leben einzuhauchen. Und wenn es wirklich mal etwas Neues sein soll, dann bieten verschiedene Siegel und Label die Möglichkeit, Kleidung zu kaufen, die unter Bedingungen produziert wurde, die Mensch und Umwelt achten.

Zusatzinfo 2
Future Fashion – Das Gemeinschaftsprojekt in Baden-Württemberg 

Die Kampagne Future Fashion versteht sich als neue Bewegung für nachhaltige Textilien und bewusstes Konsumverhalten in Baden-Württemberg. Am Alltagsprodukt Kleidung wird beispielhaft deutlich, wie das eigene Konsumverhalten in einem Zusammenhang mit der globalen Textilproduktion steht und so unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensbedingungen von Menschen weltweit hat. Ziel ist es, insbesondere eine junge Zielgruppe von 15 bis 35-jährigen für einen nachhaltigen Textilkonsum zu begeistern und auf öko-faire Mode, aber auch Möglichkeiten des Konsumverzichts aufmerksam zu machen. Das Angebot von Future Fashion ist vielfältig: Kleidertauschparties, Upcycling-Aktionen, Ausstellungen oder konsumkritische Stadtrundgänge stehen auf dem Programm. Daneben können ausgebildete Future Fashion Experts für Bildungsangebote in ganz Baden-Württemberg angefragt werden. Future Fashion ist ein Kooperationsprojekt der Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg und des Dachverbands für Entwicklungspolitik Baden-Württemberg.

Weiterlesen: Viele der in diesem Artikel zitierten Zahlen stammen aus einer 2019 erschienenen Studie der Christlichen Initiative Romero (CIR), die dafür u.a. Befragungen in Zuliefererbetrieben von C&A und Primark in Sri Lanka durchführen ließ. Das »Dossier Fast Fashion« ist online verfügbar oder kann bei der CIR gegen eine Gebühr von 5 Euro bestellt werden. Der »Future Fashion Guide« des Dachverbands Entwicklungspolitik und der Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg sowie das Portal www.siegelklarheit.de bieten einen Überblick über öko-faire Modeunternehmen und Siegel.

Autorin Miriam Hitzelberger ist beim Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg e.V. (DEAB) Projektreferentin für Globales Lernen mit den Projekten »Fair macht Schule!« und Future Fashion. miriam.hitzelberger@deab.de

Aktion: Brot für die Welt lädt dazu ein, mit einem einem Appell an die Bundeskanzlerin ein Lieferketten gesetz zu fordern. Hier kann man mitmachen:
https://www.brot-fuer-die-welt.de/themen/aktionen/petition-lieferkettengesetz/

SYM 3-2019

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