Nach über 25 Jahren verlässt Dr. Thilo Fitzner Ende Oktober die Akademie und den Arbeitsbereich „Bildung und Erziehung“, den er lange Jahre nachhaltig geprägt hat. Thilo Fitzner griff früh Themen auf, die später von der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden. Bereits 1998 veranstaltete er die erste Tagung zum Thema Inklusion von behinderten Kindern. Früh thematisierte er die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) in einer Tagung, zu der 450 Teilnehmende kamen und in einem Zelt auf dem Parkplatz tagten.
Seine bildungspolitische Tagung „Einführung der Bildungsstandards“ brachten ihm manche Ohrfeige ein. Dies sei ein neoliberales Messsystem, wurde ihm entgegengehalten. Fitzner steht noch immer dahinter: „Wenn man etwas hineinsteckt ins Bildungssystem, muss auch etwas rauskommen. Es reicht nicht, wenn der Lehrer sich bemüht hat“, meint er. Inzwischen sind die Bildungsstandards eingeführt und werden kaum hinterfragt. Seine Lieblingstagung war die zum Bildungsplan 2015: „Die Anwesenheit von Prof. Dr. Anand Pant, Andreas Schleicher, Prof. Dr. Eckart Klieme und Prof. Dr. Andreas Gruschka und anderen zeigt die politische, pädagogische und denkerische Spannbreite, bei der wir nicht nur über Schulformen diskutiert haben“, so Fitzner.
Er hat sich von Anfang an mit biblischer Archäologie beschäftigt, Tagungen und Reisen durchgeführt – ganz im Sinne seines Verständnisses von Lernen: „Wenn man selbst gräbt und findet etwas – dann kommen Fragen auf, dann erwacht die Neugierde und das Interesse.“ Aus dieser Arbeit hat sich die Gründung des Fördervereins für das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaften des Heiligen Landes (DEI) entwickelt.
Ursprünglich wollte Fitzner Vikar und Pfarrer werden. In der Ausbildung ärgerte er sich über die einseitige Kommunikation: “Ich wollte Dialog statt Einbahnstraße.“ Daher entschied er sich zunächst für den Schuldienst. Studienleiter wurde er, weil „ich die Schulwelt verändern wollte. Ich wollte für eine lebenswerte Schule kämpfen. Eine Schule, in der man lebt. Und nicht eine, in der man nur lernt.“
In den 90-er Jahren lag eine kämpferische Atmosphäre in der bildungspolitischen Luft in Baden-Württemberg. Die damalige Kultusministerin Annette Schavan habe an den veralteten Überzeugungen etwas ändern wollen, sei damit aber an den beharrlichen Tendenzen im Kultusministerium gescheitert. Diejenigen, die ähnlich dachten wie Schavan, habe sie inkognito auf die bildungspolitischen Tagungen nach Bad Boll geschickt. Fitzner denkt gerne an diese „gute, kampfeslustige Zeit“ zurück. Erst mit der rot-grünen Landesregierung habe sich die Beziehung zum Kultusministerium von Grund auf verändert, der Umgang wurde viel kooperativer. Und dass im neuen Koalitionsvertrag steht, dass die Gemeinschaftsschulen, die es bereits gibt, bleiben sollen, ist für Fitzner „eine gute Nachricht“.
Es gäbe noch manches über ihn zu ergänzen – originelle Reisen und die Musik, die er ins Haus brachte – als Chorleiter, Klavier-, Mandolinen- und Flötenspieler und als Vermittler von Konzerten. Last not least seine exklusive Garderobe, seine Liebe zum Fahrrad und zu Garibaldi – und seine wunderbare, fast altmodische Höflichkeit.
- Portraitbild (Copyright Evangelische Akademie Bad Boll, Martina Waiblinger)
Martina Waiblinger