CMT 2011: Sind Fernreisen tabu?

Tourismus und Entwicklung in Zeiten des Klimawandels. Podiumsveranstaltung der Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ) in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Bad Boll, der Diözese Rottenburg-Stuttgart, dem forum anders reisen e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Rahmen der CMT auf der Messe Stuttgart.

Wie schädlich sind Fernreisen? Was kann der Einzelne tun? Auch diese Fragen wurden bei der Podiumsdiskussion erörtert.

Stuttgart (SEZ) - Die Touristikbranche boomt. Die Deutschen sind seit Jahren Weltmeister im Reisen. Doch der Tourismus hat nicht nur Sonnenseiten, sondern ist auch Mitverursacher des Klimawandels. Abschmelzende Gletscher, Überschwemmungen und ansteigende Meeresspiegel oder auch zunehmende Trockenheit in manchen Regionen unserer Erde sind deutliche Warnzeichen. Am stärksten betroffen vom Klimawandel sind die Ärmsten in den Entwicklungsländern, die am wenigsten Verantwortung für die globale Erwärmung tragen. Klimabedingte extreme Wetterereignisse wie die Zunahme tropischer Stürme oder heftige Überflutungen verstärken Armut und Hunger und stellen die Menschen vor immense Herausforderungen.

Sind damit Fernreisen tabu? Diese Frage thematisierte am 21. Januar eine Podiumsveranstaltung der Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ) in Kooperation mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der Evangelischen Akademie Bad Boll, dem forum anders reisen e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Rahmen der CMT auf der Messe Stuttgart. Rund 270 Gäste diskutierten auf der unter der Schirmherrschaft von Wirtschaftsminister Ernst Pfister stehende Veranstaltung im Rahmen der CMT über Tourismus und Entwicklung in Zeiten des Klimawandels. Seit mehreren Jahren treten die Partner auf gemeinsamen Veranstaltungen im Rahmen der CMT für mehr Nachhaltigkeit im Tourismus ein, für eine Balance zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem.

„Der Tourismus ist Verursacher, aber auch Betroffener des Klimawandels. Außer Frage steht, dass ein ‚business as usual’ weitreichende Folgen für unsere Erde hätte. Verantwortlich für den Klimawandel sind wir alle – ob Industrie, Agrarwirtschaft oder jeder einzelne – freilich in unterschiedlicher Dimension. Es geht jedoch nicht um die Schuldfrage, sondern vielmehr um eine Antwort auf diese globale Herausforderung, um Gerechtigkeit hinsichtlich der Folgen des Klimawandels, und letztlich um ein Übernehmen der Verantwortung, was die Zukunft angeht. Wir brauchen neue Wege im Tourismus.“, betonte Dr. Karl-Hans Schmid, geschäftsführender Vorstand der SEZ in seiner Ansprache. Der Tourismus sei mit einem hohen Maß an Einkommen und Beschäftigung auch für viele Entwicklungs- und Schwellenländer zu einem Hoffnungsträger geworden. Der UN-Welttourismusorganisation nach sei der Tourismus für etwa ein Drittel der Entwicklungsländer die wichtigste Einnahmequelle. Laut UN-Welttourismusorganisation bewirkt der Tourismus ca. fünf Prozent der globalen CO2-Emissionen, überwiegend durch den Flugverkehr. Als Mythos“ bezeichnete Inputredner Prof. Dr. Stefan Gössling, Universität Lund, die Idee, das Problem mittels Technologie zu lösen. Sollten Fernreisen dann völlig unterbleiben?

Diese Frage diskutierten anschließend die Experten der exklusiven Podiumsrunde mit Dr. Dietrich Brockhagen, Gründer und Geschäftsführer der atmosfair gGmbH, Prof. Dr. Stefan Gössling, Diplom-Biologin Anke Hofmeister, Jan-Ole Jacobs, Manager Umwelt bei der Deutschen Lufthansa AG, Klaus Lengefeld, Seniorberater bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Sabine Minninger, EED Tourism Watch, und Johannes Reißland, Geschäftsführer des forum anders reisen e. V. unter der Moderation von Dr. Michael C. Hermann.

Für Klaus Lengefeld, Experte beim Sektorvorhaben „Tourismus und nachhaltige Entwicklung“ der GIZ geht es vor allem um die Frage nach den alternativen Einkommensmöglichkeiten für den Fall, dass der Ferntourismus aufgrund seiner Klimaschädlichkeit eingeschränkt würde, und vor allem deren Klimabilanz, die ja mit den eingesparten Treibhausgasen durch weniger Flugverkehr gegengerechnet werden müssen. Für die indonesische Urlaubsinsel Bali wurde seitens der GIZ folgendes Szenario mit erstaunlichen Ergebnissen durchgerechnet:

Ausgangspunkt ist die Annahme, dass der Ferntourismus nach Bali aus Klimagründen um 50% reduziert würde, wodurch ca. 300.000 Menschen, die vom Tourismus dort direkt (durch Jobs) oder indirekt (durch Zulieferung von Waren und Dienstleistungen) profitieren, ihre Erwerbsquelle verlören. Alternative Jobs können diese Menschen am ehesten in der Land- und Forstwirtschaft und insbesondere dem Ölpalmenanbau finden, denn dies ist – neben dem Dienstleistungsbereich – der einzige Sektor, in dem in Indonesien in den letzten 15 Jahren massiv Arbeitsplätze und Einkommen entstanden sind. Wenn aber 2/3 dieser 300.000 Menschen in den Agrar- und Forstsektor gehen und es dadurch zu massiven Brandrodungen kommt, ist die Klimabilanz dieser Überlebensstrategien deutlich schlechter als wenn der Tourismus nach Bali nicht eingeschränkt werden würde.


„Dies ist kein Freibrief für das Fernreisen, denn Indonesien mit seinen großen bedrohten Waldressourcen ist ein Einzelfall. In anderen Ländern würde die Einschränkung von Fernreisen andere unerwünschte Wirkungen haben, wie das Anwachsen von Slums in den Großstädten oder die Migration in reichere Länder. Dies ist beispielsweise dieses Jahr für Tunesien zu erwarten, wo der Ausfall des Tourismus die Klimabilanz zwar deutlich verbessern wird.“, führte Lengefeld weiter aus. „Fernreisen ja, aber anders“, so lautet das Fazit Lengefelds.

Im Mittelpunkt der Fragen stand immer wieder der Aspekt, was der Einzelne, was der Verbraucher beim Reisen zum Klimaschutz beitragen könne. Liegt eine Lösung in der Kompensation von Treibhausgasen? Für Verbraucher schwer einschätzbar ist der in den letzten Jahren stark wachsende Markt für den freiwilligen Ausgleich von Treibhausgasen. Dr. Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer von atmosfair, führte aus, wie Treibhausgase, beispielsweise verursacht durch eine Fernreise, kompensiert werden können. Der Ausgleich von Treibhausgasemissionen erfolge z. B. durch Investitionen in erneuerbare Energien wie z. B. Wind, Solar, Biomasse und Wasserkraft oder auch in Aufforstungsprojekte.

„Nachhaltigkeit und Klimaschutz müssen Kernaspekte bei der Konzeption zukunftsfähiger Reiseprodukte werden“, betonte der Geschäftsführer des forum anders reisen (far), Johannes Reißland. Der Unternehmens- und Wirtschaftsverband kleiner und mittelständischer Reiseveranstalter für nachhaltigen Tourismus mit Sitz in Freiburg fordert von der Reisebranche, mehr Verantwortung für die Klimaauswirkungen von Reisen zu übernehmen. Das far drängt außerdem auf mehr Transparenz hinsichtlich der Klimaauswirkung touristischer Produkte. Kaum ein Kunde wisse, dass beispielsweise ein Flug nach Thailand pro Passagier mit 6,5 Tonnen CO2 zu Buche schlägt - das sind doppelt so viele Emissionen, als ein Mensch in einem ganzen Jahr verursachen sollte. „Bei Reisen der far-Reiseveranstalter ist die Reisedauer an die Flugdistanz gebunden: Je weiter ein Ziel entfernt ist, desto länger bleiben die Urlauber vor Ort. Kurztrips nach New York oder Phuket sind damit ausgeschlossen“, erklärte Reißland weiter. Derzeit engagieren sich rund 130 Reiseveranstalter für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz im Verband.

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