Von Annerose Fischer-Bucher, NWZ. 5.8.2019
Die Hoffnungstheologie Blumhardts im Deutschen Kaiserreich zwischen 1871 und 1918 hatte Akademiedirektor Professor Dr. Jörg Hübner als Thema für den ersten Vortrag gewählt. Der Referent zeigte in vielen Facetten, wie der international denkende Blumhardt mit dem Militarismus, der Ausbeutung und dem Nationalismus seiner Zeit habe zwangsläufig in Konflikt geraten müssen. In sechs Stationen zeichnete Hübner das Leben Blumhardts nach, der den deutsch-französischen Krieg durch seine kollektive gegenseitige Verdammnis als Katastrophe bezeichnete. Er beleuchtete die Zeit Blumhardts als SPD-Landtagsabgeordneter und dessen konkrete Aktionen. Das Wichtigste sei für Blumhardt die soziale Frage gewesen und die Achtung vor dem Menschen, betonte Hübner. Blumhardt habe auf die Friedens- und Menschenrechtsbewegung seiner Zeit gesetzt, sich jedoch nicht dauerhaft an sie gebunden. Sowohl von der Kirche als auch von der Sozialdemokratie enttäuscht, habe er sich für eine Theologie des Friedens im Diesseits eingesetzt.
Hoffnung eröffnet Räume
Das über 90-jährige Urgestein der Theologie, Professor Dr. mult. em. Jürgen Moltmann, dem international von 15 Fakultäten zusätzlich der Doktortitel „honoris causa“ verliehen worden war, war von Blumhardt beeinflusst worden. Moltmann sprach in seinem Vortrag davon, dass ein Gott der Hoffnung als Vorstellung, wie ihn Blumhardt gehabt habe, einzigartig in den Religionen der Welt sei. Hoffnung eröffne weite Räume, Kreativität und ergebe Möglichkeiten, denn alle Wirklichkeit sei
von Möglichkeiten umgeben. Moltmann beschrieb die Geschichte von Theologieansätzen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert mit Befreiungs- und feministischer Theologie. Er zeigte die heutigen Bedrohungen der Menschheit mit Klimawandel, Artenstreben und atomarer Bedrohung auf, die ihren Grund darin hätten, dass sich „der Mensch als das Maß aller Dinge“ sehe. Dagegen setzte er eine Erd-Theologie. Das Neue bei Blumhardt sei gewesen, dass er Gott in der Welt gesucht habe.
Im Jahr 1892 sei Hesse 15-jährig während einer Adoleszenzkrise sechs Wochen in Bad Boll gewesen, wo er den 50-jährigen Blumhardt getroffen habe, sagte der Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Göppinger Christophsbad, Dr. Markus Löble, in seinem Impulsvortrag. Glücklicherweise habe Dr. Heinrich Landerer die Psychiatrisierung des unglücklich verliebten und mit Suizid drohenden Jungen verhindert.
Löble wies auf innere neuralgische Berührungspunkte von Hesse und Blumhardt hin, aus denen
er zeitlose Themen ableitete. Und Jahrgang 1842 seien sowohl Karl May als auch Blumhardt gewesen. Ihr Internationalismus, Anti-Rassismus, Anti-Klerikalismus und beider entschiedener Pazifismus habe sie verbunden. Löble bezeichnete beide als heute „noch immer aktuelle und wichtige Utopisten“.
Fragen zum Abschluss
Warum hat Blumhardt nicht in seiner Zeit weitergewirkt? Was fasziniert heute? Welche Perspektiven eröffnen sich zum Weiterdenken? - Zu diesen Fragen sagte Oberkirchenrat Professor Dr. Ulrich Heckel, Blumhardt sei ein einsamer Rufer in der Wüste geblieben, weil er in seiner Zeit alle kritisiert und sich mit allen angelegt habe, mit dem Kulturprotestantismus seiner Landeskirche und mit der Sozialdemokratie. Seine Faszination bestehe darin, dass wir heute vor ähnlichen Fragen stünden wie damals. Besonders die soziale Frage sei heute vom Elend der Arbeiterschaft auf die Generationengerechtigkeit zu transformieren, und es gehe darum, wie Rechte und Pflichten in einen neuen Ausgleich gebracht werden könnten. Blumhardts Zukunftszugewandheit, seine Wachheit dafür, was Menschen umtreibe, seine Lernfähigkeit verbunden mit dem weltweiten Horizont, das sei auch heute faszinierend. Die Idee, die Welt mit Respekt als Kosmos und und als Teil der Schöpfung anzusehen, sei heute in ihrer ökologischen Dimension anziehend. Und seine Reich-Gottes-Hoffnung, die er mit Zuversicht, Optimismus und Tatkraft ins Diesseits transferiert habe, wirke ansteckend.
Viele Veranstaltungen
Rund um den 100. Todestag des engagierten Predigers, Politikers und Pazifisten aus Bad Boll, Christoph Blumhardt, wurde seine Person und faszinierende Wirkung mit einer Feier an seinem Grab, einer Tagung, einem Fest und einem Gottesdienst in Erinnerung gerufen. Mit einer Feier und einer Kranzniederlegung durch Oberkirchenrat Professor Dr. Ulrich Heckel und den SPD Landtagsabgeordneten Andreas Stoch wurde am Grab des Visionärs Blumhardts gedacht. Beim Begegnungsabend am „Tempele“ unweit der Reha-Klinik Bad Boll wurden Worte von Blumhardt vorgelesen und Musik durch das Jubel-Brass-Quartett gespielt. Das Kurhaus war mittendrin in den Gedenkfeierlichkeiten, auch als Institution in der Nachfolge Blumhardts. Bei der Gedenkfeier auf dem Friedhof blickte Chefarzt Dr. Helmut Tüchert im Namen der Reha-Klinik und des Christophsbads auf diese Tradition. Blumhardt habe gesagt: Hier auf Erden einen Himmel schaffen, und er habe für sich hier einen Himmel geschaffen. Das Kurhaus stehe im Spannungsfeld zwischen Wohltätigkeit und Wirtschaftlichkeit, und er sei froh, dass es dem Christophsbad gelungen sei, es zu bewahren. Tüchert dankte allen Spendern, die zum Erhalt des Blumhardtfriedhofs beigetragen haben oder es noch tun.
Bei einer Tagung gab es einen Vortrag des bekannten Theologen, Professor Dr. Jürgen Moltmann, außerdem Impulse zu Blumhardts Literatursalon, fachübergreifende Gespräche sowie das Thema „Perspektiven für ein Weiterdenken“. Nach einem Fest im Kurpark feierte Landesbischof Frank Otfried July gestern in der Wandelhalle des Kurparks einen Gottesdienst.