Seit vergangener Woche läuft auch die Akademiearbeit von zu Hause aus. Es ist ein Privileg in diesen Tagen, wenn man so weiterarbeiten kann. Und die digitale Kommunikation mit den Kolleginnen und Kollegen funktioniert dank der Organisation durch die Direktion recht gut.
Natürlich fehlen mir die kurzen kollegialen Kontakte auf dem Flur und in den Pausen. Dafür spare ich mir die Zeit für das Pendeln. Zeit, um den Berg mit liegengebliebenen Zeitungen abzubauen. Und festzustellen, dass da ziemlich viel gleich ins Altpapier kann. Kaum zu glauben, mit was wir uns da noch vor wenigen Wochen beschäftigt haben. Die Oma im Hühnerstall: Altpapier. Herzogin Meghan und ihr Prinz: Altpapier.
Erschütternd aber auch, was jetzt aus dem Blick gerät. Die Flüchtlinge auf Lesbos und an der griechisch-türkischen Grenze, die rassistischen Morde in Hanau, die Lage in Idlib. Inzwischen sind es Randnotizen geworden, obwohl es dort niemandem besser geht. Im Gegenteil.
Und welchen Hickhack sich die Politik rund um den Digitalpakt gegönnt hat. Im Interesse des Föderalismus. Doch was man sich bei der Digitalisierung der Schulen noch geleistet hat, das könnte in der Coronakrise drastische Folgen haben, wenn jedes Bundesland für sich die Regeln macht.
Doch nicht nur die Grenzen des Föderalismus werden ganz neu diskutiert werden müssen. Viele Fragen sind dran: war die Ökonomisierung im Gesundheitswesen, war das Einsparen von Stellen in Behörden und Polizei nicht einfach der falsche Weg? Ist unsere Freizeitgesellschaft, in der das Glück vermeintlich nur an fernen Stränden zu finden ist, tragbar für unsere Welt?
In der Hoffnung auf ein „nach der Krise“ müssen wir hier intensiv diskutieren und die besten Lösungen für unsere Gesellschaft finden.
Und dann ist natürlich auch bei der Arbeit von zu Hause aus die Sorge eine ständige Begleiterin. Sorgen um die eigene Gesundheit und die seiner Nächsten. Sorgen aber auch um die Flüchtlinge, die in ihren Unterkünften nun keine ehrenamtliche Begleitung mehr haben. Um die alten und einsamen Menschen. Um Obdachlose und die Kunden der Tafelläden. Um alle die Menschen, deren Existenz von einem Tag auf den anderen gefährdet ist.
Toll, wie viel Initiativen hier Hilfe anbieten. Das lässt hoffen, dass wir es miteinander schaffen. Wenn nicht jeder nur an sein eigenes Klopapier denkt.
Und schmerzlich ist es zu guter Letzt, dass ausgerechnet in dieser Zeit, in der Ängste, Sorgen, Vereinsamung und Verzweiflung groß sind, auch die Gottesdienste in unseren Kirchen nicht mehr gefeiert werden können.
Doch da gilt Gottes Zusage: „wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“. Verlieren wir also nicht unser Vertrauen darauf, dass Gott seine Schöpfung nicht alleine lässt. Und vergessen wir nach der Krise nicht, was wir in ihr schmerzlich lernen müssen.
Der Theologe Wolfgang Mayer-Ernst ist seit 2014 Studienleiter für den Themenbereich „Gesellschaft, Politik, Staat“ an der Evangelischen Akademie Bad Boll. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Politik und Recht.