Bad Boll / Kreis Göppingen - Vor Rückschritten bei der Lösung des Kurdenkonflikts warnte der Friedensforscher Prof. Dr. Andreas Buro am Sonntag (13.12.2009) auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll. Vor dem Hintergrund des Verbots der Kurdenpartei DTP durch das türkische Verfassungsgericht sagte er: "Das Fenster der Möglichkeiten darf nicht wieder zuschlagen und den Kurs auf die Lösung der Kurdenfrage erneut um viele Jahre verstellen".
In den letzten Monaten hatte die Erdogan-Regierung in der Türkei etliche Zugeständnisse an die kurdische Minderheit angekündigt und teilweise umgesetzt. Unter anderem wurden kurdischsprachige Sendungen im türkischen Staatsfernsehen zugelassen, kurdische Dörfer sollten ihre ursprünglichen Namen zurückerhalten, und selbst dem inhaftierten PKK-Chef Öcalan wurden Hafterleichterungen zugesagt. Dieser Prozess sollte auf der Tagung mit dem Titel "Positive Entwicklungen in der Türkei?" bilanziert und bewertet werden. Durch das Verbot der pro-kurdischen DTP der wichtigsten politischen Interessenvertretung der Kurden in der Türkei sahen sich die Bad Boller Tagungsmacher plötzlich vor eine neue Ausgangsitiation gestellt.
Wegen der zugespitzen Sitution in der Türkei mussten Parlamentsagbeordnete sowohl der Regierungspartei AKP als auch der Kurdenpartei DTP ihre angekündigte Teilnahme an der Tagung absagen. Nach Bad Boll gekommen waren aber die DTP-Spitzenpolitiker Medeni Kirici und Muzaffer Ayata sowie Vertreter verschiedener kurdischer Verbände und Organistionen in Deutschland.
Andreas Buro, Sprecher des Dialogkreises "Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden", mahnte eindringlich auf der Tagung, am Kurs der Aussöhnung und des Gewaltverzichts festzuhalten. Dafür brauche es einen langen Atem, denn Teile der türkischen Generalität, "alte nationalistische Kräfte" und "gewaltbereite Sektierer in vielen Lagern" hätten ein offenkundiges Interesse, diesen Prozess zu verhindern.
Buro präsentierte auf der Tagung einen umfassenden "Fahrplan für eine friedliche und zivile Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts". Darin ruft er vor allem die Intellektuellen und Schriftsteller auf, sich gegen eine Politik des Gewalt auszusprechen und dabei die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen und Nichtregierungsoganisationen in der EU zu suchen.
Von kurdischen Organisationen, die bisher den bewaffneten Kamf geführt oder unterstützt hatten, fordert er eine "grundsätzliche Bereitschaft zum Gewaltverzicht", wobei er betont, dass dies mehr bedeuten müsse als der Waffenstillstand, wie er gegenwärtig von der PKK praktiziert werde. Zugleich müsse auch die Regierung in Ankara auf militärische Mittel verzichten, "offiziell den Wunsch nach Aussöhnung aussprechen" und eine Amnestie einleiten.
An die deutsche Bundesregierung richtet er die Forderung, dass sie sich in der EU dafür einsetzt, die kurdische Guerilla nicht mehr als "terroristisch" einzustufen, solange sie an ihrem Waffenstillstand festhält. Eine besonders wichtige Rolle in der Beilegung des Konflikts spielt nach Ansicht Buros die Europäische Gemeinschaft. Bisher fehle es an der "ausdrücklichen Unterstützung einer friedlichen Lösung" durch die Gremien der EU. Sie müsse in ihren Beitrittsverhandlungen mit der Türkei stäker als bisher auf eine Lösung der Kurdenfrage drängen, ohne die die Menschenrechtsprobleme in der Türkei nicht zu bewältigen seien.
Auf der Tagung in Bad Boll erhielt Andreas Buro breite Zustimmung zu seinen Vorschlägen. Der DTP-Politiker Muzaffer Ayata erklärte: "Von kurdischer Seite wird keiner diesem Fahrplan für eine Lösung des Konflikts widersprechen."
DTP-Verbot durch das türkische Verfassungsgericht
Am Freitag (11.12.2009) entschieden die elf Richter des Obersten Verfassunsggerichts in Ankara einstimmig, dass die pro-kurdische DTP gegen die Verfassung verstößt. Die DTP ("Kurdenpartei für eine demokratische Gesellschaft") ist die wichtigste politische Interessenvertretung der Kurden in der Türkei. Im Parlament ist sie mit 21 Abgeordneten vertreten. Der türkische Genertalstaatsanwalt hatte der Partei vorgeworfen, dass sie sich nicht eindeutig von der PKK distanziert habe. Nach der Veröffentlichung der Gerichts-Entscheidung wird die Partei aufgelöst. Für 37 Mitglieder der Partei gilt ein fünfjähriges politisches Betätigungsverbot. Die EU hatte bereits 2007 gegen das Verbotsverfahren Stellung bezogen. Die Entscheidung ist ein Rückschlag für die Bemühungen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, eine politische Lösung des Kurdenkonflikts anzustreben.