Geld und Glaube.

Wie passen Kirche und Wirtschaft zusammen?

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Das Verhältnis von Kirche und Wirtschaft ist, um es vorsichtig auszudrücken, angespannt. So richtig scheinen Geld und Glaube nicht zusammenzupassen. Man stelle sich eine gläubige Christin vor, die an der Spitze eines erfolgreichen Unternehmens steht. Müsste sie sich nicht fragen lassen: „Wie kann es sein, dass du als Christin und Unternehmenschefin aktiver Teil eines Wirtschaftssystems bist, das jahrhundertelang die natürlichen Ressourcen unseres Planeten geplündert hat?“ oder „Wie kann es sein, dass du als Christin mit deinem Unternehmen Profite machst?“. Fragen dieser Art suggerieren: Im Glauben hat Geld keinen Platz. Dass eine solche Einstellung nicht neu ist, belegt eine Geschichte des Neuen Testaments. Mit dem Ruf „Macht das Haus meines Vaters nicht zu einem Kaufhause“ (Joh. 2,13–16), vertreibt Jesus Händler und Geldwechsler aus dem Jerusalemer Tempel. Die Kirche, Gebäude wie Institution, soll also nicht zum Marktplatz verkommen. Mancher und manche träumt daher vielleicht von einer Kirche, die sich von ökonomischen Zwängen emanzipiert hat und ein Gegengewicht zur kapitalistischen Markt- und Wettbewerbsgesellschaft bietet.

Geld und Glaube als Gegensatz
Eine solche Perspektive ist schlüssig und sympathisch – aber wahrscheinlich auch viel zu einfach. Marktwirtschaften sind effiziente Allokationsmechanismen. Das heißt, dass Märkte wichtige Güter und Dienstleistungen in ihre beste Verwendung lenken. Davon profitieren im Idealfall alle Menschen. Damit dem so ist, benötigt eine Marktwirtschaft aber vielfältige Korrektive: Monopole, also mächtige Zusammenschlüsse großer Unternehmen, müssen unterbunden oder gar zerschlagen werden. Darum kann sich der Staat in Form von Kartellämtern kümmern. Grundlegende Spielregeln und Rahmenbedingungen einer Marktwirtschaft, zum Beispiel Mindestlöhne, kann ein Staat ebenfalls vorgeben. Ob Unternehmen sozial engagiert sind, nachhaltig produzieren und ihre Mitarbeiterinnen fair behandeln, liegt aber vielfach außerhalb seines Einflussbereichs. Ein christliches Welt- und Menschenbild, das Fairness im Umgang untereinander und Nachhaltigkeit in der Nutzung natürli-cher Ressourcen (ein)fordert, kann diese Lücke im Sinne aller füllen. Für die Nöte vieler Menschen muss ein Staat erst sensibilisiert werden. Man denke beispielsweise an jene Menschen, die zu wenige Ressourcen (Vermögen, Arbeitsqualifikationen, Talente etc.) besitzen, um auf Arbeits-, Güter- und Wohnungsmärkten bestehen zu können: Sie müssen ihre Arbeitskraft für wenig Geld verkaufen, falls sie überhaupt eine Anstellung finden. Und sie können sich bei steigenden Preisen gefragte Konsumgüter, teuren Wohnraum oder einen nachhaltigen Lebensstil kaum leisten. Kirchen machen auf solche Nöte aufmerksam. Kirchliche Hilfsangebote ergänzen staatliche Förderleistungen. Kirche korrigiert.

Kirche als Korrektiv
Kirchen können Märkte dort korrigieren, wo diese versagen. Deshalb sollten sich Kirchen mutig zu Wirtschaftsfragen äußern – auch wenn ihnen hier gerne die Kompetenz abgesprochen wird. Eine Kirche, die in einer Marktwirtschaft ihrer korrektiven Funktion nachkommt, verspricht weder das Blaue vom Himmel, noch gibt sie sich mit dem Bestehenden zufrieden. Sie legt den Finger in offene Wunden. Wunden, die Märkte in Natur und Gesellschaft hinterlassen. Auch individueller Glaube dient als Korrektiv, wenn eine Christin sich als erfolgreiche Unternehmenschefin beispielsweise für faire Arbeitsbedingungen und nachhaltige Lieferketten einsetzt. Christinnen können also nicht nur in herausgehobenen wirtschaftlichen Positionen tätig sein – sie sollten dies auch. Schließlich können sie aus solchen Positionen heraus christliche Werte besser in Welt und Wirtschaft tragen als beim Gebet hinter Kloster- oder Kirchenmauern. Eine einfache Aufgabe ist dies nicht. Vermeintliche ökonomische Zwänge und ständiger Wettbewerbsdruck verleiten dazu, Glaubensgrundsätze für unternehmerischen Profit zu opfern. Daher ist es umso bewundernswerter, wenn sich Unternehmerinnen zu ihrem christlichen Glauben bekennen und sich ihrer schwierigen Aufgabe stellen, Geld und Glauben zu vereinen. Statt eines schlechten Gewissens sollten sie dafür allgemeine Anerkennung bekommen.

Geld und Glaube im Einklang
Effiziente Märkte schaffen die wirtschaftliche Grundlage für eine gerechte Gesellschaft. Schließlich ist Gerechtigkeit in Zeiten wirtschaftlicher Krise(n) kaum umsetzbar. Bertold Brecht bringt es auf den Punkt: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ – mit leeren Mägen, Geldbeuteln und Staatskassen ist Gerechtigkeit ein Luxusprodukt, oder gar ein Ding der Unmöglichkeit. Effiziente Märkte sind allerdings nicht automatisch gerecht. Glaube und Moral helfen, Wirtschaft auf eine Art zu gestalten, die auch tatsächlich nachhaltig und gerecht ist. Ein Markt ohne Moral ist genauso verfehlt wie ein Glauben ohne Geld. Geld und Glaube sind keine Gegensätze. Sie brauchen einander.

Jonas Franzen ist seit 15. September 2023 Studienleiter im Themenbereich Wirtschaft, Globalisierung und Nachhaltigkeit an der Evangelischen Akademie Bad Boll. Sein Arbeitsschwerpunkt ist Wirtschaftsethik.

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Bemerkungen :

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    Jonas Franzen 27.11.2023 um 01:29
    Vielen Dank für Ihre Beiträge, welche die Thesen meines kleinen Essays praktisch und provokativ ergänzen! Lassen Sie mich als Antwort eine Lanze für Adam Smith brechen, jenem klassischen Ökonomen, der die Metapher der "Unsichtbaren Hand" in seinem Hauptwerk "Wohlstand der Nationen" (1776) gebraucht - allerdings nur an einer einzigen Stelle des (je nach Ausgabe) fast 700 Seiten starken Buches. Im Laufe der Zeit wurde jene kurze Passage oft (und absichtlich?) als Verteidigung vergleichsweise wenig regulierter Märkte (oder auch des wirtschaftspolitischen Status quo?) gelesen: Es gehe nur jeder Mensch ungehindert seinem oder ihrem Eigennutz nach – Die unsichtbare Hand überführe individuell egoistisches Verhalten in allgemeinen Wohlstand. Jene Hand solle deswegen möglichst frei von staatlichen oder gesellschaftlichen Eingriffen sein. Smith, der nicht nur Ökonom war, sondern einen Lehrstuhl für Moralphilosophie an der Universität Glasgow innehatte, hätte dieser Interpretation seiner Metapher wahrscheinlich niemals zugestimmt. Ihm war (sicherlich) bewusst, dass Märkte gelungene Rahmenbedingungen brauchen, die dem Allgemeinwohl zuträglich sind. Erst dann kann die unsichtbare Hand ihre Arbeit tun. Sind solche Rahmenbedingungen nicht vorhanden, führt individueller Egoismus nicht zum Wohlstand aller, sondern (im Gegenteil) nur zum Reichtum (bzw. Nutzen) weniger. Moral und Glauben helfen, immer wieder zu hinter-fragen, wem der wirtschaftspolitische Status Quo dienlich ist und wie die Rahmenbedingungen einer (Sozialen) Marktwirtschaft (beispielsweise im Angesicht technologischer, demographischer oder geopolitischer Umbrüche) verändert werden müssen, damit Wirtschaft im Sinne aller funktioniert.
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    Johann Kuttner 20.11.2023 um 10:29
    Glaube als moralischer Kompass zur Gestaltung einer öko-sozialen Marktwirtschaft

    Die Unsichtbare Hand des Marktes.

    Märkte lenken wichtige Güter und Dienstleitungen in ihre beste Verwendung – durch die unsichtbare Hand des Marktes. So der Irrglaube moderner Ökonomie. Entscheidungen von Produzenten, Verbrauchern und Konsumenten werden dadurch entpersonalisiert und damit moralisch unangreifbar.

    Tempel eignen sich nicht als Räume für Marktschreier und Auktionen, wenn sie angedacht sind als Versammlungen um sich moralisch auszurichten für eine gerechte und soziale Welt. Dies braucht Ruhe, Zeit um in sich einzukehren und Impulse von anderen, z.b. durch „Religionslehrer“.
    Geld, Glaube und Kirche – Wie passt das zusammen: Brot für die Welt, Misereor und Oikocredit (initiert von Kirchen) sind wunderbare Beispiele für unternehmerische Handeln und Geldanlage jenseits einer kapital-istischen Markt – und Wettbewerbsgesellschaft.
    Wie kann es sein, dass Banken „too big too fail“ geworden sind? Das ehemals genossenschaftlich Organiserte Volks-und Raiffeisenbanken, die nicht mehr Kredite verleihen durften als vorhandene Spareinlagen, durch Ihre Landesbanken in das Spekulationsgeschäft eingestiegen sind.

    In denke nicht, das es in unserem Staat bei den politischen Entscheidungsträgern auf kommunaler, auf Landes und Bundesebene an Sensibilität für die Nöte der Armen und Ausgegrenzten fehlt. Nicht nur den Kirchen wird die Kompetenz zur Marktregulierung abgesprochen, sondern auch den Politikern auf allen Ebenen – durch Lobbyisten und ökonischen Experten die die Entscheidungen der Wirtschaftslenker hinter der unhinter-fragbaren und unsichtbaren Hand des Marktes verstecken.
    Es sage mir keiner das - wer sich ein wenig Zeit zum Nachdenken und Gedankenaustausch mit anderen nimmt – etwa durch einen Besuch im Gottesdienst – nicht einen sicheren inneren moralischen Kompass hat, der ihm anzeigt, ob etwas sozial gerecht und im Sinne des Allgemeinwohls geschieht, oder nicht.
  • user
    Rolf Höflinger 20.11.2023 um 09:58
    Möchte mal so beginnen, seit Ludwig Erhardt haben wir eine soziale Marktwirtschaft, die uns gelernt hat, Angebot und Nachfrage regeln den Preis, oder!
    So sollte sich auch Kirche verhalten.
    Statt sich aus der Fläche zurückziehen, lieber in die Fläche investieren.
    Sehen wir es mal aus der Brille der kirchlich orientierten Mitglieder, sie sind der Kirche nahestehenden, aber sie getrauen sich nicht die Werte ihres Glaubens hervorzuheben. Sie achten vielmehr darauf, was anders Gläubige dürfen und was nicht.
    Die gilt es zu korrigieren und den christlichen Glauben wieder wertschätzend zu verbreiten.
    Auch hier ein Beispiel: Der Buß- und Bettag ist immer noch ein Feiertag, er ist nur nicht mehr "arbeitsfrei" und somit "wertlos".