Bad Boll / Kreis Göppingen - Manfred Fischer fühlte sich als Theologe der ökumenischen Leitidee »Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« verpflichtet, die er auch als Richtmaß seiner Leitungstätigkeit in der Akademie verstand. Dies wurde erkennbar in zahlreichen Stellungnahmen, mit denen er sich u. a. zur Friedens- und Umweltbewegung äußerte. Kurz nach seinem Amtsantritt als Geschäftsführender Akademie-Direktor 1988 sagte er, »praktischer Materialismus« sei die vorherrschende Weltanschauung in der Bundesrepublik. Die Welt sei zum »Selbstbedienungsladen« und der Mensch zum »hoch spezialisierten Egoisten verkommen«. Besonders setzte er sich dafür ein, Gesprächsfähigkeit zu erhalten und im Dialog Lösungen für Probleme in der Gesellschaft zu suchen.
»Manfred Fischer hat in seiner Zeit als Direktor der Evangelischen Akademie Bad Boll darauf hingewirkt, dass in einer auseinanderstrebenden Gesellschaft Brücken gebaut werden«, sagte der württembergische evangelische Landesbischof Frank Otfried July zum Tod von Manfred Fischer. Seine Liebe zur Sprache habe ihm geholfen, Menschen aus unterschiedlichen Milieus miteinander ins Gespräch zu bringen. »Dabei hat er seine eigene theologische Position und sein Engagement deutlich vertreten: Der öffentliche Anspruch des Evangeliums muss unüberhörbar in einer Gesellschaft wahrzunehmen sein«, so July.
Der Geschäftsführende Direktor der Evangelischen Akademie Bad Boll, Joachim L. Beck, betonte die Sprachmächtigkeit seines Vorgängers, mit der er theologische und gesellschaftspolitische Fragestellungen in Beziehung setzte. »Als feinsinniger und engagierter Theologe begleitete er wachsam gesellschaftliche Entwicklungen und unterstützte Menschen, die Verantwortung in Wirtschaft, Politik und Verwaltung tragen«, sagte Beck. Manfred Fischer habe Frömmigkeit und Weltverantwortung in überzeugender und ansteckender Weise gelebt. In der Evangelischen Akademien Bad Boll war er im Direktorenteam verantwortlich für Strukturveränderungen in den neunziger Jahren, in deren Verlauf die regionalisierte Arbeit der Evangelischen Akademie Bad Boll reduziert und die diskursiven Elemente am Standort Bad Boll konzentriert wurden.
Manfred Fischer wurde 1933 in Königsberg geboren. Nach seinem Theologiestudium war er zunächst Pfarrer für landeskirchliche Schülerarbeit, ab 1967 Gemeindepfarrer in Stuttgart-Hohenheim. Ab 1980 gehörte Fischer, neben Dr. Günther Metzger und Christoph Bausch, dem damals dreiköpfigen Direktorium der Evangelischen Akademie Bad Boll an. Zum Geschäftsführenden Direktor der Akademie wurde er dann 1988 berufen. Er füllte das Amt bis zu seinem Ruhestand 1996 aus. Die letzten Lebensjahre von Manfred Fischer waren geprägt durch seine Alzheimer Erkrankung.
Ihrem Selbstverständnis nach ermutigt die Evangelische Akademie Bad Boll zu zivilgesellschaftlichem Engagement, ökologischem und solidarischem Handeln. Sie begleitet Veränderungsprozesse und stärkt Menschen in ihrer Verantwortung. Mit ihren Tagungen will sie kontroverse Standpunkte klären und ethische Reflexionen im Geiste protestantischer Freiheit anregen. Als Haus der Evangelischen Landeskirche in Württemberg veranstaltet sie jährlich etwa 250 Tagungen. In ihrem Wirtschaften richtet sich die Evangelische Akademie Bad Boll nach Kriterien der Nachhaltigkeit. Die Akademie war im September 1945 als erste Evangelische Akademie in Deutschland als »Antwort auf die Zerstörung des Geistes und den Vertrauensbruch staatlicher Macht während der Zeit des Nationalsozialismus« gegründet worden.
Nachruf des Geschäftsführenden Direktors der Evangelischen Akademie Bad Boll, Joachim L. Beck, auf Manfred Fischer Freitag, 12.03.2010, Martinskirche Plieningen
Am Sonntag Reminiszere 1933 ist Manfred Fischer geboren. Das Wort für diesen Tag kann uns in der Stunde des Abschieds Orientierung geben. Gedenke Herr an deine Barmherzigkeit. Psalm 25,6. Aus Gottes Barmherzigkeit können wir leben und diese im eigenen Leben erkennbar machen. Barmherzigkeit, das ist: berührt werden und sich berühren lassen von dem, was Menschen bewegt und was sie erzählen.
Das Gespräch war Manfred Fischer in all seinen Berufsstationen wichtig: Sachfragen wollte er mit seinem Engagement ebenso klären, wie Menschen stärken. Als Landesjugendvikar in den Jahren 1959 bis 1962, als Pfarrer für Schulwochen, Schülerarbeit und internationalen christlichen Jugendaustausch (1962 bis 1967), als Gemeinde- und Studierendenpfarrer in Stuttgart-Hohenheim/Steckfeld (1967 bis 1980) und als Direktor und später Geschäftsführender Direktor der Evangelischen Akademie Bad Boll (1980-1996) lag ihm am Gespräch. »Aufbruch zum Dialog« ist folgerichtig und programmatisch die Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum der Evangelischen Akademie Bad Boll im Jahr 1995 betitelt.
Es waren keine unverbindlichen, folgenlose Gespräche, für die Manfred Fischer sich einsetzte. Im Diskurs sollte nicht nur die Wirklichkeit abgebildet, sondern Wirklichkeit gestaltet werden. Denn: Das Evangelium gibt Orientierung, Frömmigkeit zielt auf Weltverantwortung.
Verantwortung ist m. E. eines der entscheidenden Stichworte: Die Freiheit des Christenmenschen führt zur Verantwortung vor Gott und für die Mitmenschen und die Gesellschaft. Kämpferisch konnte Manfred Fischer deshalb auch Missstände benennen und diese mit geradezu poetischer Formulierungsgabe und Esprit öffentlich machen. Damit hat er sich nicht nur Freunde gemacht.
Aber: er verstand dies als seine Aufgabe, seine Berufung: Fragen des öffentlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens sowie Fragen des beruflichen und persönlichen Lebens im Licht des Evangeliums zu bedenken. Und das meint Nachdenken, aber auch harte, kritische Auseinandersetzung, um durch Zuhören, Mitreden und Weiterdenken zu neuen Einsichten zu kommen.
Gerade deshalb setzte er sich intensiv mit der biblischen Botschaft auseinander. Es führte zur »Einmischung in innere Angelegenheiten« (um einen weiteren Buchtitel zu zitieren), wenn Worte Jesu in Beziehung gesetzt werden zu aktuellen Fragestellungen. Gottes »grundloses Erbarmen« (Niedergefahren zur Erde, Vorwort) wird erkennbar und sichtbar in der Proexistenz Jesu und in der Nachfolge der Christinnen und Christen heute. Und darum ging es Manfred Fischer. Erfahrungen in der Arbeitswelt, Verantwortung der Unternehmer, sozialpolitische Dilemmata, Umweltgefährdung, Nachrüstungsdebatten immer lebte er Frömmigkeit und Weltverantwortung in überzeugender und ansteckender Weise.
Als feinsinniger und engagierter Theologe begleitete er wachsam gesellschaftliche Entwicklungen und unterstützte Menschen, die Verantwortung in Wirtschaft, Politik und Verwaltung trugen.
Das gesellschaftspolitische Arbeiten von M. Fischer war ergänzt und unterstützt durch sein Engagement in der Kirchenreformbewegung. Das Pfarrhaus in Steckfeld war lange Zeit Heimat der »Offenen Kirche«, deren Vorsitzender Manfred Fischer war. Kirche so Fischer muss sich auch in den Strukturen vom Evangelium her gestalten, sie darf nicht im Getto der eigenen Gemeinde bleiben. Denn Offenheit meint, sich den Problemen der Zeit zu stellen, tolerant im Geiste Jesu den Menschen begegnen, damit im Dialog missionarische Kraft entfalten.
Während seiner Arbeit in der Evangelischen Akademie Bad Boll hat er Strukturveränderungen geplant und umgesetzt: Die Arbeit in den Regionen wurde reduziert, die diskursiven Elemente am Standort Bad Boll konzentriert; damit verbunden war ein einschneidender und belastender Stellenabbau.
»Manfred Fischer hat darauf hingewirkt, dass in einer auseinanderstrebenden Gesellschaft Brücken gebaut werden.
Dabei hat er seine eigene theologische Position
deutlich vertreten: Der öffentliche Anspruch des Evangeliums muss unüberhörbar in der Gesellschaft wahrzunehmen sein.« (Landesbischof Dr. h.c. F.-O. July)
Dies verfolgte Manfred Fischer mit großer Ernsthaftigkeit, die vielleicht in seiner ostpreußischen Herkunft wurzelte, und mit großer Leidenschaft, die er jenseits und zum Ausgleich seiner beruflichen Belastungen auch in seinen sportlichen Neigungen offenbarte.
In der Zeit seines Direktorats wurde [unter Federführung von Studienleiter Dr. Jürgen Mohr] in der Evangelischen Akademie Bad Boll die Deutsche Alzheimer Gesellschaft gegründet. Wenige Jahre später erlebte und erlitt Manfred Fischer selbst diese Krankheit. Eine Krankheit, die ihm auch seine Sprachfähigkeit raubte, was er noch an sich selbst bemerkte und was ihn mit großer Verzweiflung erfüllte. In einem seiner Klagepsalmen heißt es:
»Versunken im einsamen Dunkel schweige ich gen Himmel und bleibe stumm.
Mir hat es meine Sprache verschlagen, mein Gedächtnis schwindet,
verloren bin ich in einem Getto des Schweigens.
Und mir wird deutlich, dass ich aufgehoben bin
bei dir, Gott.
Denn du hast mir mein Leben noch einmal geschenkt!«
Auch da wird Barmherzigkeit erkennbar und benannt Gottes Barmherzigkeit.
Seine Sprachfähigkeit, sein weiter Horizont und seine engagierte Weise, das Evangelium zu leben und zu verkündigen, sind uns Aufgabe und Ansporn.
Wir befehlen Manfred Fischer und Sie, liebe Familie Fischer, der Gnade und Barmherzigkeit Gottes an.